Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
gibt.«
Ferruccio wunderte sich, als sein Großvater unter seinem Leinenkittel einen großen Schlüssel hervorholte und ganz selbstverständlich das Portal aufschloss, geradeso, als wäre es seine eigene Kirche.
»Siehst du dieses Zeichen?«, fragte Paolo de Mola und zeigte seinem Enkel drei Schwerter, die keine Griffe hatten und deren Spitzen nach unten zeigten.
»Weißt du, was das bedeutet?«
Ferruccio schüttelte den Kopf.
»Es ist das Symbol der Bruderschaft des Hospitals, das dreifache Tau, das gleichzeitig auch der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets ist.«
»Nun weiß ich so viel wie vorher, Großvater …«
»Die drei T, oder drei Tau, weisen auf den Tempel in Jerusalem hin – den versteckten Schatz und den Ort, an dem das Wertvollste an sich verborgen ist.«
»Großvater …«, Ferruccio lächelte, »willst du mit mir scherzen?«
Paolo del Mola stemmte sich gegen das Portal, das quietschend nachgab.
»Tritt ein, mein Enkel. Und nein, ich mache keine Scherze. Nun schau dich um.«
Ferruccio sah sich um. Die Kirche hatte keinerlei Ausschmückung, die Wände waren weiß und freskenlos. Nur die Säulen waren verziert – mit floralen Symbolen und Muscheln – und auf einigen Steinplatten waren drei mysteriöse Buchstaben eingraviert: Ein »E«, ein »T« und ein »S«.
»Dies ist nun die Kirche der Tempelritter, Ferruccio, und ich bin einer der Ihren. Darum habe ich den Schlüssel.«
»Du bist ein … Templer?« Ferruccio schaute seinen Großvater perplex an. »Aber … die Templer sind seit langer Zeit ausgestorben!«
»Nein Ferruccio, seinerzeit sind unzählige von ihnen ermordet worden, aber nicht alle. Die Überlebenden haben sich zurückgezogen und den Orden in aller Stille am Leben erhalten. Heute würdest du sie vielleicht daran erkennen, dass sie den Weg der Gerechtigkeit und Redlichkeit, der Ehre und der Vergebung gehen. Aber es ist schwierig, sie zu erkennen, denn wir Templer wahren unser Geheimnis gut. Auch wir erkennen einander heutzutage erst nach einiger Zeit, und zwar durch das profunde Wissen, das wir alle haben. Auch die Initiation erfolgt nur in Gegenwart des Meisters und zweier Ritter, die von weither kommen und umgehend abreisen, um den Adepten allein sich selbst und seinem Gewissen zu überlassen. Ich lüfte nun ein Geheimnis, in der Hoffnung, dass du eines Tages meinen Platz einnehmen wirst.«
»Ich … Großvater, ich weiß nicht.«
»Das hat keine Bedeutung, denn ob und wann der Moment kommen wird, hängt nicht von dir ab. Es werden deine Taten sein, die dich – vielleicht – mehr oder weniger dafür prädestinieren werden. Weißt du, die drei Buchstaben ETS bedeuten Ecce Templari Sumus : Hier sind wir Ritter des Tempels, an diesem Ort existieren wir immer noch. Nun setz dich, Ferruccio. Bevor ich an den Ort gehe, von dem ich nie wieder zurückkommen werde, ist es wichtig, dass du alles weißt.«
An diesem Tag sollte Ferruccio erfahren, wer er war, und an diesem Tag sollte sein neues Leben beginnen: Sein Großvater erzählte ihm alles über seine französischen Wurzeln, die direkte Abstammung von dem letzten Großmeister des Ordens der Tempelritter, Jayques de Molay, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war; die Flucht der Hinterbliebenen nach Italien; die Italienisierung des Nachnamens in de Mola; die Erhaltung der Templertraditionen in dem verlassenen Ort in der Toskana. Und weiter: Die Verfolgungen, die nie aufhörten, bis zur Ermordung seiner Eltern durch unbekannte Meuchelmörder – Männer, denen es egal war, ob das Geld vom König Frankreichs, dem Papst oder Mohammed II. kam – so zahlreich waren die Feinde der Tempelritter. Und schließlich noch die Lebensgeschichte des Großvaters selbst, dem Meister des Ordens. An diesem Tag und mit diesem Wissen verlor Ferruccio seine jugendliche Unbekümmertheit. Paolo de Mola sollte mit fortschreitender Krankheit noch zwei weitere Jahre leben, und Ferruccio begann, sich schwarz zu kleiden und seine Gefühle ebenso zu verbergen wie seinen Namen, obwohl der Ruhm seines Schwertes ihm von Ort zu Ort vorauseilte. Als der Moment gekommen war, dem Herrn seine Seele zu übergeben, gab ihm sein Großvater einen Ring, verbunden mit der Bitte, ihn dem Prächtigen zu überbringen. Dieser hatte den Orden der Templer unter Missachtung der päpstlichen und königlichen Regeln und Gesetze beschützt und den Rittern nicht nur erlaubt, das Hospital zu gründen, sondern es sogar finanziert. Ferruccio beugte sich dem letzten
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