Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
und auf der Hut.
»Ich muss mit dem edlen Ferruccio de Mola sprechen. Ich nehme an, dass Ihr das seid, gehe ich recht?«
Um sich zu zeigen, nahm er die Kapuze seines Umhangs ab – die typische Geste eines Ritters.
»Wer seid Ihr?«
»Ich ziehe es vor, das nicht mit lauter Stimme zu sagen, mein Herr. Allerdings werde ich mich unverzüglich vorstellen, sobald Ihr mir die Gnade gewährt, eintreten zu dürfen.«
»Seid Ihr alleine?«, Ferruccio spähte über den Hof und ließ seinen Blick über die Felder schweifen.
»Wie alle Menschen auf Erden, guter Herr.«
»Warum wollt Ihr mit mir sprechen? Ich glaube nicht, Euch zu kennen.«
Der Mann hielt die Arme auf dem Rücken verschränkt und stand breitbeinig und selbstsicher da. Er schien ungeduldig zu sein, wusste sich aber zurückzuhalten. Er antwortete nicht und schaute Ferruccio direkt ins Gesicht – ohne Arroganz, aber auch ohne Furcht.
»Ich komme und öffne Euch«, rief Ferruccio und verschwand aus dem Fensterrahmen.
Seine Haltung verriet eine gewisse adlige Herkunft. Er war kein Soldat, überlegte Ferruccio, und wenn sein Pferd jemals gekämpft hatte, dann auf irgendwelchen Turnieren. Trotzdem durfte man ihn aber nicht unterschätzen. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass es besser war, mit Bedacht vorzugehen, statt gleich das Schwert zu ziehen – für alle Fälle schnallte Ferruccio sich jedoch links ein leichtes Bohrschwert und rechts ein Stilett an den Gürtel. In engen Räumen waren solche Waffen besser als Schwerter. Er hätte sehr gut auf diesen Besuch verzichten können, genauso wie auf den verbalen Schlagabtausch, der sich ankündigte, denn sie erinnerten ihn an Zeiten, die er vergessen wollte.
Er öffnete dem Fremden die Tür, und beide Männer grüßten sich mit einem kurzen Kopfnicken. Ferruccio wies ihm den Treppenaufgang und hielt sich hinter dem Fremden – die Vorsicht warnte ihn, dem Mann nicht den Rücken zuzudrehen.
Leonora stand hinter dem Diwan und nahm die Verbeugung des Unbekannten mit kühlem Blick zur Kenntnis. Nun standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Der Fremde legte seinen gefalteten Umhang über seinen linken Arm.
»Wenn ich Euch meinen Namen nenne, werdet Ihr wissen, dass Ihr mir vertrauen könnt. Gleichwohl wäre ich lieber mit Euch allein«, sagte er zu Ferruccio. Sein Ton war freundlich und ein wenig aufgeregt. Aber Ferruccio hatte keinerlei Absicht, Leonora aus dem Raum zu komplimentieren. Wenn sie den Raum verlassen wollte, dann nur aus freiem Willen.
»Meine Ehefrau ist meine engste Vertraute, und ich ziehe es vor, wenn sie aus Eurem Munde erfährt, was Ihr zu sagen habt, statt aus meinem, sobald Ihr wieder fort seid.«
Leonoras Augen verengten sich. Sie blieb zwischen den beiden Männern stehen, verschränkte die Arme auf der Brust und machte keinerlei Anstalten zu gehen. So sanft und friedlich sie war, so konnte sie sich doch plötzlich in eine stolze und entschlossene Frau verwandeln – genau wie Ja ë l, eine ihrer Lieblingsgestalten aus der Bibel: Die sanfte Ehefrau von Eber, dem Keniter, hatte in ihrem Zorn General Sisera ermordet, als dieser um Gastfreundschaft in ihrem Hause ersucht hatte.
»Nun, so sei es. Mein Name ist Pierantonio Carnesecchi.«
»Ich kenne Euch«, antwortete überrascht Ferruccio und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ihr seid Prior der Republik …«
»Ich riskiere meine Position und mein Leben, um hier zu sein. Und um Euch dies hier zu zeigen.«
Aus einem Säckchen, das er um den Hals trug, holte Carnesecchi ein kleines Schmuckstück hervor und überreichte es Ferruccio. Als er den goldenen Ring sah, erkannte er den kugelförmigen Karneol sofort. Ferruccio erbleichte, als die vergangenen Jahre in seiner Erinnerung an ihm vorbeizogen. Rom, Bologna, Urbino, all die anderen Städte und Länder. Gassen, Palazzi, Straßen. Männer, die er bekämpft und manchmal auch getötet hatte, andere, die er beschützt und verteidigt hatte. Er sah sich im Grimaldi-Kerker in Genua einsitzen und das Kentern seines Schiffes vor Neapel. Er sah den Petersdom, in dem er zum ersten Mal den einzigen Menschen getroffen hatte, den er je Bruder genannt hatte: Giovanni Pico, Graf von Mirandola. Schließlich tauchte Lorenzo der Prächtige vor seinem inneren Auge auf, dem er viele Jahre lang bis zu dessen Tod treu gedient hatte. Ein großzügiger Dienstherr und sein Erbe forderten heute eine Ehrenschuld ein, die seit Jahren tief in seinem Herzen verborgen war.
»Ich sehe, Ihr erkennt ihn und wisst
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