Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
Willen seines Großvaters und vollzog den letzten Schritt: die Reise an den florentinischen Hof, die Übergabe des Rings und die freiwillige Unterwerfung dem einzigen Menschen gegenüber, in dessen Schuld er stand und dem er sich verpflichtet fühlte.
In einem Lidschlag zog sein Leben an ihm vorbei, und als Ferruccio wieder bei sich war, hatte er seine Entscheidung bereits getroffen. Als er die Blicke Leonoras sah, die das Kinn reckte und ihre Tränen herunterschluckte, schienen die Steinmauern ihres Hauses in Staub zu zerfallen.
»Wo und wann?«, fragte Ferruccio Carnesecchi.
»An einem sicheren Ort«, antwortete dieser. »Und er weist Euch an, die Messe zu besuchen, die der Mönch in Santa Maria degli Angeli halten wird. Er wird die Kutte der Dominikanermönche tragen und sich im hinteren Teil der Kirche bei der neuen Statue des heiligen Markus aufhalten. Die Kirche ist klein, und es wird ein dichtes Gedränge herrschen: Niemand wird Euch also beachten, weder ihn noch Euch. Und nun werde ich mit Eurem Einverständnis nach Florenz zurückkehren und dem Monsignore Bericht erstatten. Natürlich nur, wenn es Eurer Magd beliebt, mich nun ziehen zu lassen – wenn sie mir schon keinen Einlass gewährte.«
Leonora ließ Ferruccio alleine in seinem Studierzimmer zurück und schloss die Tür hinter sich. Dieser Mann, der ihre Idylle gestört hatte, hatte etwas Beunruhigendes an sich. Einerseits fühlte sie sich in ihre Vergangenheit zurückkatapultiert, in der sie ihre Seele von ihrem Körper abgetrennt hatte und Tag für Tag ein Stück von ihm verkaufen musste, um zu überleben. Andererseits fühlte sie sich von einem schrecklichen Sturm, dem sie nie hätte standhalten können, an einen tiefen Abgrund gedrängt.
Verrücktheiten einer Frau, hätte ihr alter Beichtvater dazu gesagt. Aber konnte es nicht auch anders sein? Immerhin besaß sie ein Bewusstsein, das ihr erlaubte, hinter die Realität zu blicken, Dinge zu spüren und zu verstehen, die ein Mann nur sah, wenn er sie direkt vor sich hatte. Giovanni Pico hätte gesagt: Das, was da in dir wirkt, ist die schöpferische Mutter, das Wesen, das allem seinen Ursprung gab und von dem du als Frau noch einen Funken in dir trägst. Es ist das antike Wissen, ein Zeichen ihrer Anwesenheit, eine Gabe, die es dir ermöglicht, in die menschliche Natur hineinzublicken. In diesem Moment hörte sie die Stimme von Giovanni Pico, die sie beruhigte, aber gleichzeitig auch ermahnte. Zu einem späteren Zeitpunkt würde sie sich Ferruccio anvertrauen – aber nicht jetzt, denn hierfür – wie für alles – gab es einen richtigen Moment. Jetzt aber war der Moment gekommen, erst einmal für sich alleine zu bleiben.
13
Istanbul, Serailpalast, Thronsaal, 1. Mai 1497
Bayezid II., der Sohn von Mohammed dem Eroberer, hatte in seinem Thronsaal die Botschafter der verschiedenen Länder um sich geschart. Während sein Vater sich den kämpferischen Islam auf die Fahne geschrieben hatte, würde man sich an ihn jedoch als Friedens- und Wohlstandsbringer erinnern. Er liebte es, den heiligen Pentateuch mit dem Satz zu umschreiben: So, wie es den richtigen Moment zum Sterben und den richtigen Augenblick zum Leben gibt, so gibt es für jeden Menschen auch die rechte Zeit zum Kämpfen und die Stunden, die den Künsten gewidmet sind. Der heutige Tag würde der sakralen Musik und seinen Geburtstagsfeierlichkeiten gewidmet sein, die in diesem Jahr mit dem ersten Tag des Ramadan zusammenfielen. Die Zeremonie hatte noch nicht begonnen, und eine buntgemischte Menschenmenge, wie sie unterschiedlicher nicht hätte sein können, bevölkerte den Saal. Ada Ta und Gua Li traten in farbenprächtiger Bekleidung ein und wurden von neugierigen Blicken begrüßt. Als Ada Ta sich von ihr entfernte, kam Gua Li sich verloren vor – aber Männer und Frauen mussten voneinander getrennt sein, so schrieb es das Protokoll vor. Sie fand sich in einer Ecke neben einer hochgewachsenen, würdevollen Frau wieder, deren Augen mit einem kleinen schwarzen Schleier bedeckt waren. Sie trug einen mit roten Halbmonden verzierten Damast-Hidschab, der von ihrem Kopf bis zu den Schultern reichte.
Ada Ta hatte nicht so viel Glück – er musste in die erste Reihe und stand schließlich direkt vor dem Thron. Dieselbe Ehre war auch den schärfsten Widersachern des Sultans zuteil geworden, den Venezianern, die mit ihrem lauten Geplapper gegen die Hofetikette verstießen.
Antonio Grimani, der Gesandte der Serenissima, wandte sich zum
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