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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Kleidung – die prächtigen Pluderhosen und die breite Bauchbinde aus Seide – wies ihn als Hauptmann der Solak aus, der persönlichen Leibgarde des Sultans.
    »Ich rieche den Geruch des Todes.«
    Gua Li klammerte sich an seinen Arm, und Ada Ta schloss für einen Moment die Augen. Vor ihnen deutete Antonio Grimani eine unbeholfene Verbeugung an. Die gesamte christliche Delegation tat es ihm gleich. Die violetten Beinlinge aus Samt waren schon an diversen Stellen abgewetzt, bemerkte Bayezid und sah, als er den Blick weiter nach oben schweifen ließ, die goldene Kette des San-Giovanni-Ritterordens, die Grimani über dem einfachen, kurzen Mäntelchen trug – das Symbol seiner grimmigsten Feinde. Ohne dieses Ornament um den Hals wäre ihm der adelige Venezianer wie ein ganz normaler Bittsteller erschienen, dem er den Zakat, ein freiwilliges Almosen und dritte Säule des Islams, gewährt hätte. Der Sultan ließ sich einen frischen Orangensaft bringen, an dem er ohne Eile nippte. Ergeben wartete der Diener zu seinen Füßen. Auf ein Zeichen des Sultans würde er den Rest des Getränks zurück in die Küche bringen und den Rest heimlich austrinken. Und ansetzen würde er genau an der Stelle, die von den Lippen des großen Vaters berührt worden war.
    Am Schluss trat die jüdische Delegation vor. Seitdem Bayezid den aus Spanien verjagten Sepharden Gastfreundschaft und Arbeit in seinem Land gewährt hatte, waren in Istanbul mehr als einhunderttausend Juden gelandet. Sie lebten streng unter sich in eigenen Stadtteilen, kleideten sich eigenartig, trugen eine seltsame Haartracht und sahen, bis auf wenige Ausnahmen, wie Lumpensammler aus. Vielleicht wollten sie nicht auffallen, ein Verhalten, das nach ihrer Diaspora nur allzu verständlich war. Die strengen Katholiken Fernando und Isabella von Spanien hatten sie damals all ihrer Besitztümer beraubt, und die Juden waren seinerzeit arm und hungrig in Istanbul gestrandet. Aber sie waren auch Handwerker, und das Finanzwesen und der Handel hatten sich dank ihrer Fähigkeiten wirklich gut entwickelt. Ihr Status als Schutzbefohlene des Sultans erlaubte ihnen, in Frieden zu leben, solange sie den Dschizya, den gerechten Tribut, zahlten, keine Waffen trugen und nicht gegen Muselmanen Zeugnis ablegten. Ansonsten war ihnen gestattet, nach ihren eigenen religiösen Bräuchen zu leben. Wer diesen Pakt verletzte, »werde nicht einmal den Duft des Paradieses wittern«, hatte der Große Prophet gesagt – und genauso stand es im alten Hadith geschrieben.
    Bayezid betrachtete Jehudà Caro, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinschaft. Trüge er nicht diese Haartracht und das weiße Käppchen, so würde der alte Rabbi auch als weiser Ulama durchgehen, dachte er und hoffte inständig, dass Caros Redefluss wenigstens heute ein wenig gebremst wäre – er war nämlich auf einen Neuzugang im geheimsten Teil seines Harems neugierig.
    »Großer Sultan Baiazet , unser Gott sendet dir alle guten Wünsche und seinen Segen für den heutigen glückseligen Tag deiner Geburt.«
    Obwohl Jehudà Caro die heilige Sprache des Propheten – gepriesen sei Sein Name – ohne Kadenz sprach, hatte er noch immer nicht gelernt, den Namen seines Herrschers korrekt auszusprechen.
    »Auch unsere Gemeinschaft, die du bewahrst und beschützt, möchte dir ihre Verehrung bekunden und durch mich, ihren bescheidenen Diener, ein Geschenk überbringen. Es wurde von unseren besten Goldschmieden gearbeitet, und wir bitten dich, uns die Ehre zu erweisen, es anzunehmen.«
    Bayezid vergaß umgehend die falsche Aussprache seines Namens, denn was er sah, war überwältigend. Das, was der Jude in der Hand hielt und ihm unterwürfigst darbot, war eine perfekte Miniatur der christlichen Hagia-Sophia-Basilika. Sie war zu schön gewesen, und man hatte sie nicht abgerissen. Nun wurde sie Große Moschee genannt – größer war nur noch die in Mekka. Auf einer Basis aus Smaragden umschlossen vier kleine, aus feinstem Alabaster gearbeitete Minarette ein Mosaik aus Granatsteinen, die den roten Steinen des Originals nachempfunden waren. Über dem Ganzen thronte ein Dach mit Ziegeln aus Obsidianen. Sogar die bunten Glasfenster der Moschee mit den Bleivoluten waren mit filigranem Gold imitiert worden. Die jüdischen Goldschmiede hatten dem türkischen Sultan, der sie so großmütig aufgenommen hatte, in monatelanger Arbeit ihre Kunstfertigkeit und Dankbarkeit beweisen wollen.
    Jehudà Caro schwitzte unter dem Gewicht der wertvollen Gabe und

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