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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Häusern, und jede Frau, auch ohne den Grund zu kennen, schnalzte schnell mit ihrer Zunge gegen den Gaumen und wiederholte ihn ohne Unterlass, bis ganz Istanbul von dem Echo der Rufe erfüllt war.

14
    Istanbul, 5. Mai 1497, Serailpalast, im Harem
    Der Janitschare pikte seinem Kameraden, der es geschafft hatte, im Stehen einzunicken, mit der Lanzenspitze in den Bauch. Dieser ging unverzüglich in Habachtstellung und – nachdem er nach rechts und links geschaut hatte – warf seinem kichernden Kameraden einen bösen Blick zu. Als er jedoch begriff, was dieser ihm bedeuten wollte, verstand er, warum ihn sein Gefährte geweckt hatte: Im zarten Licht des Morgengrauens war der verrückte Fremde wieder in Aktion.
    »Schau, Kamil, gerade hat er Blumen und Kräuter verzehrt. Vielleicht hält er sich für eine Ziege?«
    »Für mich ist er ein Dämon, ein Drakul.«
    Kamil spuckte sich dreimal über die linke Schulter.
    » Audu billah mina schaitani ar rajim . Auf dass die Barmherzigkeit mich beschützen möge!«
    »Wenn der Imam dich hört, was du da für Zeugs betest, wird er dir die Eier abschneiden. Denk daran, dass die Christen und Juden von ihrem Aberglauben befreit werden, wenn der Prophet Jesus zurückkommt. Die muselmanische und die christliche Welt werden sich zu einem einzigen Glauben vereinigen; und es wird eine Zeit des Friedens, der Sicherheit, der Glückseligkeit und des Wohlstands anbrechen. Doch wenn du dich weiterhin so benimmst, wirst du in die Hölle gestürzt werden – so, wie es der Prophet Jesus sagt.«
    »Ja, ja, du hast immer recht, Yasar, aber zur Zeit König Basarabs trug mein Großvater den Kopf des großen Drakul auf seiner Lanze aufgespießt, und als er nach Hause kam, waren alle Kühe tot und …«
    »Und deine Großmutter war mit dem einzigen Esel geflohen. Das hast du mir schon hundertmal erzählt, Kamil.«
    »Es war die Macht Drakuls.«
    »Vielleicht war es ja deine Großmutter, die sich mit dem Esel verlobte …«
    »Nimm dich in Acht, Yasar, fordere mich nicht heraus!«
    »Warte, schau nur, was er jetzt macht – von wegen Drakul!«
    Ada Ta hatte seine Arme über seinem Kopf kreisen lassen und dann die Handflächen im Gebet vor der Brust zusammengeführt. Mit dem letzten Armkreisen war er bis auf den Boden gekommen und machte auf jeweils drei Fingern seiner rechten und linken Hand einen Handstand. Doch damit nicht genug: Er vollführte in atemberaubendem Tempo drei Handstandüberschläge und landete schließlich im Kopfstand. Die beiden Soldaten sahen ihm mit offenstehenden Mündern zu, wie er wieder auf die Füße sprang, seine Arme eng an den Körper presste und wie ein Frosch zu hüpfen und dazu seinen Stab zu schwingen begann. Er wirbelte ihn so schnell von einer Hand zur anderen, dass Kamil und Yasir nur noch einen magisch wirbelnden Luftkreisel sahen.
    Als er seine Übungen beendet hatte, ging Ada Ta auf die beiden Wachen zu, die ihn, obwohl mit einem Stab bewaffnet, entgegen jeder Vorschrift näher kommen ließen.
    »Yasar ist sehr weise«, sagte Ada Ta zu Kamil. »Ich glaube jedoch, dass es erst den wahren Frieden geben wird, wenn alle Menschen aufhören zu glauben, dass ihr Gott der Einzige ist. Das würde bedeuten, dass der Hecht erst alle anderen Fische im Teich fressen müsste, um Frieden zu haben. Die Vielfalt der Arten ist besser als nur ein einziger Gewinner und mit ihr das Gleichgewicht. Gerade das Gleichgewicht ist wichtig.«
    Vor ihren Augen begab sich der Mönch mit extremer Langsamkeit in einen Kopfstand, zuerst auf zwei Händen, dann auf einer Hand, und schließlich balancierte er nur noch auf einem Daumen. Kamil traute seinen Augen nicht.
    »Das ist Magie. Schwarze Magie.«
    Ada Ta stand auf.
    »Die Magie ist das, was wir nicht für möglich halten, solange wir es nicht ausprobiert haben. Wenn du es selbst versuchst, wirst du schnell merken, dass dies hier keine Magie ist. In den Bergen, aus denen wir kommen, tun viele solche Dinge.«
    »Wie ist das möglich?«, fragte Yasar.
    »Hast du noch nie einen Esel fliegen sehen?«
    »Nein, niemals. Esel fliegen nicht.«
    »Ganz richtig. Du kennst Esel, und manchmal bist du mit ihnen zusammen.« Ada Ta lächelte. »Aber stell dir vor, du hättest noch nie einen Esel zu Gesicht bekommen, und man würde dir erzählen, dass Esel fliegen können – du würdest nicht mit Sicherheit wissen können, dass die Aussage falsch ist.«
    Der Mönch legte die Handflächen aneinander und entfernte sich. Er ging zu den beiden Zimmern, die

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