Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
ihnen der Sultan im Palast zugewiesen hatte, obwohl er sich noch nicht dazu bequemt hatte, sie zu empfangen.
Gua Li saß am Tisch, vor sich Platten mit Bergen von Süßspeisen. Neben ihr stand ein befriedigter Ahmed. Die junge Frau nahm ein Konfekt, das wie eine Rose aussah, und steckte es sich in den Mund. Eine Explosion aus Walnüssen, Haselnüssen, Pistazien und Zitrone erfüllte ihren Gaumen. Gua Li seufzte glücklich und griff nach einem zweiten Konfekt, das die Form einer Pyramide hatte: Ein intensiver Duft nach Sesam stieg ihr in die Nase, und sie schnitt eine kleine Grimasse, als sie probierte.
»Ihr habt recht, das Halva ist zu süß.« Der Mann nahm es ihr vorsichtig aus der Hand. »Das Baklava mag der Sultan am liebsten. Man sagt, es habe aphrodisierende Kräfte.«
Ada Ta trat zu den beiden.
»Auch der Wurm in einem Apfel kann aphrodisierend sein, wenn der Verstand sich dies einredet. Aber diese Süßspeise sieht zugegebenerweise weitaus appetitanregender aus als ein Wurm.«
»Der Prachtvolle verlangt nach Euch.« Ahmed verschränkte die Arme vor der Brust. »Und er wollte, dass ich Euch diese Süßspeisen bringe, als Entschuldigung für die lange Wartezeit.«
»Das Warten erscheint lang, wenn es unangenehm ist«, antwortete Ada Ta, »während die Zeit nur allzu schnell vergeht, wenn sie angenehm ist.«
»Wollt Ihr mich bitte begleiten?«
Gehorsam folgten Ada Ta und Gua Li Ahmed und verließen den Garten. Über ihren Köpfen schrie ein Falke. Gua Li beobachtete, wie das Tier seine Kreise zog, um eine Beute auszumachen, auf die es sich stürzen könnte. Ahmed ging voraus bis zu einer Gittertür, die mit Blumen und schwarzem Stacheldraht aus Eisen verziert war und von zwei Eunuchen bewacht wurde.
»Ich darf den Harem nicht betreten«, sagte Ahmed.
Er zeigte auf Ada Ta, und Gua Li erschauerte.
»Euch hingegen hält der Sultan nicht für eine Bedrohung. Er erwartet deshalb Euch beide in seinen Privatgemächern, wo Ihr vor neugierigen Augen und Ohren geschützt seid.«
»Das Vertrauen des Beschützers von Mekka und Medina wird nicht enttäuscht werden.« Der Mönch legte seine Hände zusammen.
Der Sekretär des Sultans lächelte und befahl den Wachen, die Gittertür zu öffnen. Eine Frau in nachtfarbener Burka geleitete sie stumm durch ein Labyrinth aus weißen Gängen. Vor einer Flügeltür, in deren Holz Verse des Korans geschnitzt waren, blieb sie stehen, verneigte sich und öffnete die Flügel. Ada Tas und Gua Lis Blick fiel als Erstes auf Würdenträger des Hofes, die sich gerade verneigten und mit raschelnden Seidenstoffen an ihnen vorbeihuschten und sie dabei streiften. Zwei junge Frauen in seidenen Pluderhosen saßen auf großen Kissen zu Füßen des Sultans. Ein dünner Schleier verhüllte ihre Nasen und Münder, ließ aber ihre grün geschminkten Augen frei. An ihren Füßen glitzerten goldene Fußkettchen mit Glöckchen. Bayezid lächelte.
»Wenn ein Gast freiwillig der Sunna folgt, wird das Lächeln Allahs an diesem Tag besonders strahlend sein.«
Gua Li verneigte sich leicht.
»Und an diesem Tage«, antwortete Ada Ta, »wird jeder das bekommen, was er verdient: An diesem Tag wird es keine Ungerechtigkeit geben. Allah rechnet geschwind ab.«
Der Sultan öffnete die Arme und hob sie gen Himmel. Die Ärmel seiner langen weißen Brokattunika bewegten sich dabei wie die Schwingen eines Schwans hin und her.
»Unser Gast kennt nicht nur unsere Sprache, sondern auch die vierzigste Sure, Al-Ghafir – die des Vergebenden. Schade, dass ich sie während unseres letzten Treffens nicht anwenden konnte.« Bayezid seufzte. »Aber darüber möchte ich heute gar nicht mit Euch sprechen. Ich stehe in Eurer Schuld, und ich werde sie, so wie ich es immer tue, begleichen. Nachdem Ihr verhindert habt, dass ich in ein weißes Tuch gehüllt werde, ist heute ein vollkommener Tag, um die Geschichte des zweiten Propheten zu erfahren. Ist es wahr, dass er fast noch ein Knabe war, als er nach Indien kam?«
»So erzählen es einige Zeugnisse.« Ada Ta warf Gua Li einen aufmunternden Blick zu. »Und unseres ist von der Hauptperson selbst bestätigt. Er hat uns einen lebenden Beweis hinterlassen.«
»Was kann denn noch leben«, wandte der Sultan ein, »wenn er vor fünfzehn Jahrhunderten gestorben ist?«
»Dieser Einwand ist richtig«, antwortete Ada Ta und setzte sich auf den Boden.
Gua Li schüttelte den Kopf und lächelte Bayezid an, der es erwiderte. Dann nahm sie ein großes Kissen, setzte sich mit
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