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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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lehnte.
    »Khayr al-Din! Anstatt das Schiff zu lenken, spionierst du uns hinterher. Wie kann dich eine Frau stören, die so leise spricht? Du abtrünniger Grieche, du! Ja, geh nur, schleich dich davon, du Viper.«
    Als er auf seinem gesunden Bein herumwirbelte, schenkte er Gua Li ein breites Lächeln. Das tat er nie und wunderte sich über sich selbst.
    »Die Zähne der Manguste haben einen Biss wie eine Kobra«, bemerkte Ada Ta und zeigte auf Osman, dem die Schneidezähne fehlten, sodass er an ein kleines Nagetier erinnerte. Reflexartig fasste sich dieser an seine Eckzähne und wurde von einer Sekunde auf die andere puterrot vor Wut. Es beschämte ihn, dass Gua Li ihn so freundlich anblickte, und schnell wandelte sich sein Groll in herzhaftes Gelächter, in das der Italiener und der alte Mönch fröhlich einstimmten.
    »Ruhe!«, rief ihnen der Pirat von der Brücke aus zu. »Oder willst du etwa sterben, Osman?«
    Dieser beachtete ihn gar nicht: Osman zuckte mit den Schultern, machte seinen Mund auf und tat so, als würde er mit seinen Mäusezähnchen am Hals des Kapitäns nagen. Nun musste sich sogar Gua Li mit beiden Händen den Mund zuhalten, denn sie wollte mit ihrem Gelächter nicht noch mehr Aufsehen erregen.
    »Ich bilde mir ein, etwas von den Wissenschaften zu verstehen, allen voran von der Waffenkunst und Konstruktion. Und ich habe des Öfteren äußerst lehrreiche antike Schriften studiert – von dieser Geschichte habe ich allerdings noch nie etwas gehört.«
    »Als Mann der Wissenschaften seid Ihr recht sonderbar, Leonardo. Habt Ihr je eine Kuh mit langem Fell gesehen, das bis zum Boden reicht?«
    »Nein, noch niemals, Ihr habt mein Wort«, antwortete dieser lachend, »und in Vinci gibt es gar alle möglichen Rassen und ebenso in Frankreich und Mailand!«
    »Bei uns hingegen laufen die Kinder den schwarzfelligen Kühen hinterher, als seien sie die Wunder dieser Erde.«
    »Ich verstehe, was Ihr meint.« Leonardo strich sich über den Bart. »Ihr habt recht. Allerdings habt Ihr mich über eine Tatsache zum Nachdenken gebracht, die ich mein ganzes Leben vor Augen hatte und über die unsere Kirche kein einziges Wort verloren hat, was mir unverständlich ist und recht absonderlich vorkommt. Seht: Wir wissen alles über Alexander, die Cäsaren und Imperatoren. Wir kennen ihre Leben, fast jeden einzelnen Tag, aber wir wissen nichts über unseren Heiland. Wo er war und was er just in den wichtigsten Jahren seines Lebens getan hat. Ich kenne das Alte und das Neue Testament – und darin ist nicht ein einziger Hinweis zu finden, wie er die Jahre zwischen seinem dreizehnten und seinem dreißigsten Lebensjahr verbrachte – geradeso, als sei ein schwarzer Schleier über das Gedächtnis der Menschen gebreitet worden, ohne dass irgendjemand dies überhaupt bemerkt hätte. Liebe Freunde, ich glaube nicht, dass ich ein überaus begabter Mann bin, aber ich nehme wahr, wie um mich herum die Ignoranz prächtig gedeiht. Vielleicht wirke ich darum ja auch sensibler als andere, weil ich so vieles wahrnehme. In der Tat gibt es aber sehr wohl einen Grund, warum die Dinge auf dieser Welt so sind, wie sie sind. Es könnte sehr gefährlich sein, dieses Gleichgewicht zu stören. Es ist, als nähme man Weidenkohle, Salpeter, Branntwein und Sulfur aus Pergola und mischte es mit Weihrauch, Kampfer und Gelbwurz aus Äthiopien. Das Feuer, das daraus entspringt, brennt gar im Wasser weiter, und es gibt nichts, was es zu löschen vermag.«
    Während ihn die anderen verdutzt ansahen, holte Leonardo kopfschüttelnd aus seinem Umhang einen Zeichenblock hervor, der dicht mit Notizen und Zeichnungen bedeckt war. Er zeigte dem Mönch die Zeichnung eines menschlichen, der Länge nach durchgeschnittenen Schädels, dessen Windungen im Inneren detailliert dargestellt waren. Und er zeigte ihm noch eine zweite Zeichnung, in der der porträtierte Schädel horizontal geöffnet war. Daneben befand sich die Skizze einer Zwiebel.
    »Das Gehirn ist tatsächlich wie eine Zwiebel, und es gibt seine Geheimnisse nur Schicht für Schicht preis. Ich versuche, den Geheimnissen innerhalb des menschlichen Körpers und Geistes auf die Spur zu kommen. Der menschliche Geist ist für mich der Sitz der Seele, die oftmals den irdischen und himmlischen Gesetzen die Stirn bietet. Gleichwohl ist mir nun klar geworden, dass ich all diese Jahre blind und taub gewesen bin und eines der größten Geheimnisse vernachlässigt habe – und das, obwohl es vor aller Augen sichtbar

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