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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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durchzulassen. »Eure Waffen werdet Ihr beim Wachposten hinter dem Tor lassen. Dann werdet Ihr zum Fürsten begleitet. Aber seht Euch vor: Der Fürst toleriert kein respektloses Benehmen, und Ihr seid es mit dem Euren gerade gewesen.«
    Die Wälder bei Cintoia, am selben Tag
    Zikaden. Ohne Unterlass, quälend und ohrenbetäubend. Ab und an wurde das vieltausendstimmige Konzert von einem Wiehern oder dem Trampeln von Pferdehufen unterbrochen – nur, um dann sofort wieder einzusetzen und unverdrossen bis zum Abend weiterzuerklingen. So lange, bis die Grillen mit ihrem monotonen Zirpen das Regiment übernahmen. Leonora wartete, bis das Licht, das mittlerweile nur noch ein schmaler Streifen auf dem Felsen war, gänzlich ver schwand, und ritzte dann eine weitere Kerbe in den Stein. Fast sieben Wochen waren vergangen, seit sie entführt worden war. Ihre neue kleine Welt bestand aus einem Bett, das in einer Nische eingemauert war, einem Tisch mit Tintenfass samt Federkiel, einem Armstuhl und dem Betbänkchen vor einem Kreuz an der Wand. Man hatte ihr gesagt, dass alles mit Sorgfalt für sie vorbereitet worden sei und dass ihr Zwangsaufenthalt an diesem Ort nicht allzu lange dauern würde.
    In den ersten Tagen hatten sich Wut und Trauer die Waage gehalten, dann hatte sie eine unendliche Müdigkeit übermannt. Die Nahrungsaufnahme hatte Leonora vom ersten Moment ihrer Ankunft an verweigert. Anschließend hatte sie sich zur Flucht entschlossen. Ihr erfolgloser Angriff auf Bruder Marcello hatte ihr allerdings eine saftige Ohrfeige eingebracht, die sie zu Boden geschleudert hatte. In den darauffolgenden Tagen hatte sie der Mönch – so er denn wirklich einer war – mehrmals um Verzeihung gebeten, aber die Demütigung schmerzte mehr als die Ohrfeige. In der zweiten Woche starb ihre Hoffnung, und langsam und unaufhaltsam keimte der Wunsch in Leonora auf, ihrem Leid ein Ende zu setzen. Alles schien so sinnlos – es fühlte sich an, als hätte Ferruccio nie existiert.
    Doch nun lächelte Leonora. Das tat sie bereits seit zwei Wochen. Es war alles in der einen Nacht geschehen, als sie von einem plötzlichen Unwohlsein gequält wurde. Sie fühlte sich, als hätte sie einen Wackerstein auf dem Magen, und ihr war so schlecht, dass sie schon befürchtete, vergiftet worden zu sein. Der Mönch hatte ihr kein Wort über den Grund ihrer Gefangenschaft erzählt, aber sie war sich sicher, dass ihre Gefangenschaft mit einem Treffen Ferruccios und dem Kardinal zusammenhing und dass sie als Pfand benutzt wurde, damit Ferruccio welche Mission auch immer zu Ende brächte. Aber er musste bereits tot sein, und genau aus diesem Grund wollte auch sie gehen. Sie übergab sich in einen Kübel. Schade um das gute Gift, dachte sie beinahe mit Bedauern. Und in diesem Augenblick erschien ihr die Große Mutter und sprach zu ihr. Leonora verstand.
    Nicht nur ihr Körper veränderte sich – wenn auch noch kaum sichtbar –, sondern auch Leonoras Seele: Sie fing wieder an zu essen und zu schlafen; sie pflegte sogar ihr Äußeres und kämmte sich morgens und abends ihr langes Haar. Sie hatte sich entschlossen, ihrem Gefängniswärter vorerst nichts zu offenbaren. Sie würde es ihm zu gegebener Zeit sagen, dann, wenn es nicht mehr zu verbergen wäre.
    Bruder Marcello war erstaunt über diese Verwandlung, schrieb sie jedoch der üblichen weiblichen Launenhaftigkeit zu, die ihm so wandelbar wie bizarr erschien. Als Leonora ihn bat, ab und an nach draußen gehen zu dürfen, damit sie sich ein wenig bewegen könne, wurde er misstrauisch; doch als sie ohne Murren akzeptierte, dass sie eine Kette um den Hals und ein Glöckchen tragen musste, wischte er jeden Zweifel vom Tisch und freute sich sogar.
    Als Leonora das erste Mal ihr Gemach verließ, konnte sie nicht umhin, die Schönheit der Einsiedelei zu bewundern und die Schläue, mit der dieser Ort als ihr Gefängnis ausgesucht worden war.
    Drei Steinhäuser, an einem Hang mitten in einem Wald gelegen, der überall sein konnte; über ihnen nur der Himmel. Weder ein Berg noch ein Turm konnten als Orientierung dienen. Angesichts ihrer kurzen Reise mussten sie sich allerdings noch in der Nähe von Florenz befinden, schloss Leonora. Denn manchmal, wenn der Wind günstig stand, konnte sie den Klang einer einfachen Glocke vernehmen. Es musste sich bei ihrem Versteck also um einen kleinen, bedeutungslosen Borgo in der Nähe der Stadt handeln. Das war zwar ein vager, aber wenigstens überhaupt ein Hinweis.
    Ihr Gemach mit

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