Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)
bekannten Heiligen anzuflehen. Dann zeigte der Fürst mit dem Finger auf Ferruccio, und Gabriel senkte den Blick.
»Ihr seid ein mutiger Mann, de Mola, und Ihr gefallt mir. Wenn der Kardinal Eure Dienste einmal nicht mehr brauchen sollte, dann kommt zu mir. Das Wort ist wie der Stoß eines Degens – man muss sich nicht duellieren: Im rechten Moment richtig platziert, reicht es vollkommen aus. Wendet Euch jedoch niemals gegen mich, meine Eisen sind härter als mein Aussehen. Und nun geht zu den Gästen und nehmt sie mit, allen voran diesen Mönch, der viel zu viel redet.«
Der Fürst wies auf eine Tür. Die erneuten Gebete Gabriels wurden erhört: Ferruccio erwiderte nichts, und er verabschiedete sich mit einer kurzen, militärischen Verbeugung.
Gua Li saß am Ende eines langen, aus Stein gemeißelten Tisches und betrachtete eine Skizze, die ihr gerade von Maestro Leonardo vorgelegt worden war. Die junge Frau lachte leise und hielt sich unter den amüsierten Blicken des Maestros die Hand vor den Mund.
»Glaubt mir, es ist kein Trick und auch keine Magie. Schaut, verschiedene Mechanismen bewegen die Arme und den Kopf und lassen die Maschine lebendig erscheinen.«
»Dann ist es also ein Spielzeug für Kinder.«
»Eigentlich nicht. Ich dachte eher an einen militärischen Gebrauch. Stellt Euch vor, man stellte auf dem Felsen einer Festung, auf dem üblicherweise nur ein paar Soldaten Dienst tun, mehrere Hundert dieser Maschinen auf. Die Angreifer würden sich von ihrer Erscheinung täuschen lassen und die Belagerung aufgeben.«
»Dann interessiert es mich nicht.« Gua Li schob das Blatt zur Seite. »Ich bin der Meinung, dass Kriege den Höhepunkt menschlicher Idiotie darstellen.«
»Ihr habt recht«, seufzte Leonardo. »Ich sollte mich vor dem Studium der Dinge scheuen, die für den Menschen schädlich sein könnten. Aber mein Talent allein bringt mir kein Brot, und an der Hand, die es mir reicht, klebt allzu oft Blut.«
Ada Ta hing an der Eisenstange, an der die Fenstervorhänge angebracht waren, und machte zum x-ten Mal, und scheinbar ohne Anstrengung, einen einarmigen Klimmzug.
»Alles hängt vom Menschen ab, der das Maß aller Dinge ist, die das sind, was sie sind. Kuhmist beschmutzt die Straßen, lässt aber den Kohl wunderbar gedeihen. Allerdings, glaube ich – da ich über zwei Ohren, aber nur einen Mund verfüge –, dass nun der Moment gekommen ist zuzuhören.«
»Ada Ta, was willst du damit sagen?«
Jemand hatte sich geräuspert, und alle blickten zur Tür. Im Gegenlicht konnte Gua Li nur zwei Männer erkennen, die dunkle Beinkleider und weiße Hemden trugen. Der größere der beiden machte einen Schritt auf sie zu. Gua Li nahm einen eigenartigen, bittersüßen Geruch wahr, der sie wachsam werden ließ. Sie roch den süßen Geruch des Blutes und den bitteren des Weißdorns, denen sie zwei gegensätzliche Bedeutungen, nämlich grausam und freundlich, zuordnete. Sie schaute zu Ada Ta, konnte aber seinen Blick nicht erhaschen.
»Ferruccio de Mola, zu Euren Diensten. Und das ist mein …«
»Knappe«, unterbrach ihn Gabriel, »Diener, Beschützer, Führer, Hufschmied, Waffenmeister und Beichtvater, je nach Bedarf. Ich verfüge über so viele Fertigkeiten, wie Ihr braucht. Und auch Euch stehe ich zu Diensten.«
Bei diesem stolzen kleinen Mann roch Gua Li den Geruch von regenfeuchter Erde. Leonardo ging auf de Mola zu und reichte ihm die Hand zum Gruße.
»Leonardo di ser Piero. Ich komme aus Vinci, edler Ritter. Ich hoffe, ich kann bei Euch meine Schulden begleichen, die ich bei dem Grafen von Mirandola machte. Er war der Hauptmann und ich der Soldat, so wie es sich zwischen Wissenschaft und deren Anwendung verhält. Er stand für die griechische Welt des Denkens und ich für die römische des Tuns.«
»Ihr seid zu freundlich, Leonardo, aber Ihr schuldet mir nichts. Ich bin hierher abkommandiert worden – aber glaubt mir, auch wenn mein Gesichtsausdruck etwas anderes sagt, so bin ich doch erfreut und überrascht, Euch die Hand reichen zu können.«
»Die Worte edler Herren sind wie die Perlen einer Kette – eines reiht sich an das nächste. Die Überraschungen auf dieser langen Reise sind noch nicht zu Ende.«
Ada Ta näherte sich Ferruccio und stützte sich dabei wie ein alter Mann auf seinen Stock. »Es werden noch weitere Überraschungen folgen, aber sie sind so geheimnisvoll wie der Flug der Bienen, der vermeintlich ziellos, in Wirklichkeit jedoch Frucht einer bestimmten Logik ist. Man
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