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Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ketzers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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Namen desjenigen vernommen hatte, den er mehr als alles andere bewunderte – mehr als die Kirche und sogar noch mehr als die Große Mutter , war ihm das Blut in den Kopf geschossen. Er atmete heftig. Sie wagte es, über Jesus zu sprechen? Außerdem verwirrte sie den Verstand und sein Herz.
    Leonardo berührte Ferruccios Arm.
    »Als ich ihre Worte zum ersten Mal vernahm, reagierte auch ich auf ähnliche Weise, de Mola. Doch wenn Ihr Euch in Geduld übt und zuhört, dann werdet Ihr von dieser Geschichte verblüfft sein, in der sich alles fügt, wie der Lauf der Planeten um die Sonne und nicht andersherum.«
    »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, aber Ihr erstaunt mich – Ihr, der sich rühmt, ein Mann der Wissenschaften zu sein. Was will sie mich glauben machen? Dass Schweine fliegen können?«
    »Eines Tages sah ein Mann, der alles, was fliegt, gerne beobachtete, ein Schwein von einem Felsen stürzen …« Ada Ta klopfte mit seinem Stock auf den Boden, um auf sich aufmerksam zu machen. »Er dachte, dass es sich bei dem fallenden Schwein um einen sehr feisten Vogel handele. Der Mann war deshalb auch sehr enttäuscht, als er seinen Irrtum bemerkte. Voll Wut zertrat er eine Raupe unter seinen Füßen, weil er dachte, dass sie nie fliegen würde. Wenn er jedoch Geduld gehabt und gewartet hätte, dann hätte er beobachten können, wie ihr Flügel gewachsen wären.«
    »Glaubt Ihr, mich mit diesen Wortspielereien beeindrucken zu können?«
    Die dunklen Augen Gua Lis ruhten auf Ferruccios nervösen Händen mit den blauen Adern und den haarigen Handrücken. Er erinnerte sie an einen Hütehund aus den Bergen – gnadenlos gegen Angreifer, stark wie ein Bär, ein unbestechlicher Wächter und treuer Freund.
    »Lasst mich wenigstens diesen Teil meiner Erzählung beenden. Tut so, als wäre es eine jener Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählt, unter freiem Sternenhimmel und umgeben von Bergen. Dann sprechen wir über Euch, uns und das, was uns trennt oder vereint.«
    Ferruccio verfluchte die Stimme dieser jungen Frau, die an die Stimme einer Mutter erinnerte, die mit ihrem noch ungeborenen Kind spricht und den sich entwickelnden Geist mit den richtigen Gedanken beruhigt. Ferruccio nahm wieder Platz.
    Gaya war sehr stolz auf Īsā. Wenn sie auf einem Markt Halt machten, um Proviant und Kochgeschirr zu kaufen, dann verlor sie nie eine Gelegenheit, den Händlern zu erzählen, wie weise ihr Gefährte sei. Diejenigen Händler, die sich die Mühe machten, ihn kennenlernen zu wollen, waren erstaunt ob seiner Jugend. Und diejenigen von ihnen, die schließlich blieben, um Īsā zuzuhören, machten zunächst ihre Scherze mit ihm und hatten dann ihren Spaß an seiner Scharfsinnigkeit. Und wenn es Nacht wurde und die Gespräche ernster und die Einsamkeit der Händler größer, dann fand Īsā immer Worte des Zuspruches und des Trostes. Er rief ihnen die schönen und guten Seiten ihres Lebens ins Bewusstsein. Er machte ihnen verständlich, dass ihnen ein ehrenwertes Verhalten anderen gegenüber eine größere Glückseligkeit versprach als die Suche nach schnellem Gewinn. Und er zeigte ihnen, dass sie sich an jeder Offenbarung der Natur, sei es eine Blume, ein Wasserfall oder eine Wolke, erfreuen sollten. Auch furchterregende Tiere wie der Skorpion, der Tiger und die Brillenschlange seien zwar schreckliches, wenngleich einzigartiges Zeugnis der Herrlichkeit, mit der die Natur sich den Menschen offenbarte. Und wenn die Händler Īsā fragten, welchem Gott er huldigte, dann lächelte er und breitete die Arme aus.
    »Er ist allgegenwärtig, in jeder Kreatur, in jeder unserer Gesten und in uns selbst. Diesen Gott verehre ich.«
    Während die drei Wanderer dem Verlauf des Ganges folgten, eilte Īsā sein Ruf von Dorf zu Dorf voraus. Sobald er erkannt wurde, bildeten sich sofort Menschentrauben um seinen Karren. Die Aufdringlichkeit der Leute ging sogar so weit, dass Sayed sich gezwungen sah, auf einen Teil seiner Gespräche mit ihm zu verzichten. Eines Tages erwartete ihn ein Trupp Soldaten, die Īsā noch nie gesehen hatte: Sie hatten eine helle Haut, Mandelaugen und langes Haar. Respektvoll, aber bestimmt wandte sich ihr Hauptmann an sie.
    »König Heraios wünscht Euch kennenzulernen. Sein Lager ist nicht weit von hier. Folgt uns.«
    Die königliche Jurte übertraf an Höhe jedes andere Gebäude, das Īsā je zu Gesicht bekommen hatte – ihre Kuppel thronte über Tausenden von Zelten. Man erzählte, dass das königliche Heer aus

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