Das Vermächtnis des Martí Barbany
saß, überkam ihn manchmal die Besorgnis, Laia zu verlieren. Dann kehrte er plötzlich zu seinem Haus zurück und erkundigte sich, wohin, wann und wozu sie ausgegangen war. Diener, Lakaien, Sklaven und selbst Besucher mussten dann seine schlechte Laune ausbaden. Wenn sich Laia aus irgendeinem harmlosen Grund verspätete, machte er eine völlig unangemessene Szene, sobald er sie kommen sah, ohne dass er sich darum kümmerte, ob Diener anwesend waren oder nicht. Damit beschämte er das Mädchen, das sich ganz untröstlich und in Tränen aufgelöst in seine Zimmer zurückzog.
Laia, die schon als kleines Mädchen eine eigentümliche Abneigung gegen ihren Stiefvater empfunden hatte, begriff dessen Haltung nicht, und im geheimen Einverständnis mit Aixa bemühte sie sich, ihm bei den Mahlzeiten nicht unter die Augen zu kommen, indem sie Kopfschmerzen oder das besondere Unwohlsein der Frauen vorschützte, was Bernat allmählich beunruhigte. Das ging so weit, dass er Halevi, den berühmten jüdischen Arzt, rufen ließ, obwohl er für die Nachkommen derjenigen, die den Herrn gekreuzigt hatten, nichts übrighatte. Der Arzt machte einen Hausbesuch bei dem angesehenen Bürger. Er trug ein granatrotes Obergewand mit einem goldenen Gürtel und einen großen
Amethystring am Ringfinger der rechten Hand: Durch all das wurde seine bemerkenswerte Erscheinung besonders hervorgehoben. Der Arzt wunderte sich über Bernats seltsames Betragen, als er die Patientin untersuchen wollte.
»Müsst Ihr sie berühren, um das Übel zu erkennen, das sie quält?«
»So ist es angebracht. Ich kann schlecht eine Diagnose stellen, wenn ich den Patienten nicht untersuche, ganz gleich, ob es ein Mann oder eine Frau ist.«
»Ich habe gelesen, dass Avicenna in seinem Kanon der Medizin schreibt, er habe der Gemahlin des persischen Sultans den Puls durch eine Tür und mit einer eingewachsten Schnur gefühlt, die er an sein Handgelenk gebunden hatte.«
»Avicenna hat es vielleicht so gemacht, aber ich kann so etwas nicht.«
Dabei blieb es. Nachdem er das Mädchen, das sich in keinem Augenblick auszog, gründlich untersucht hatte, verschrieb er ihr eine Reihe von Mixturen aus Heilpflanzen, um ihren Allgemeinzustand zu verbessern und ihre Migränen und Menstruationsschmerzen zu lindern. Dann nahm er Montcusí beiseite.
Die beiden Männer gingen ins Arbeitszimmer, und als sie sich gesetzt hatten, fragte Bernat Montcusí: »Was sagt Ihr, Halevi? Leidet meine Tochter unter einer schweren Krankheit?«
»Durchaus nicht, Herr. Eltern können sich schwer damit abfinden, dass die Zeit für alle vergeht und dass sich die Mädchen zu Frauen entwickeln. Eure Tochter ist herangewachsen, und obwohl Ihr sie schlank und schwach vor Euch seht, sind in ihrem Innern schon die Organe bereit, die die Frau zur Fortpflanzung befähigen. Daher kommen ihre Migräneanfälle, ihre Leibschmerzen und dieses unstete Verhalten, von dem Ihr mir berichtet und das zu diesen plötzlichen Launen führt, die, wie Ihr sagt, sie mitunter heimsuchen und die selbstverständlich nachlassen werden, sobald sie in den Genuss der Ehe kommt.«
Bernat war deutlich erblasst, was Halevi bemerkte.
»Beunruhigt Euch nicht. Ich habe Euch nichts Schlimmes mitgeteilt. Ich will Euch lediglich zeigen, dass Ihr, wenn die Zeit gekommen ist, Großvater werden könnt.«
Ohne dass der Jude den Grund wusste, änderte sich Montcusís Ton schlagartig und wurde zornig.
»Ich habe Euch gerufen, damit Ihr Euch um die Gesundheit meiner Tochter kümmert. Eure Kommentare, ob ich Großvater werden kann,
sind überflüssig.« Montcusís unterdrückter Groll machte sich Luft, ohne dass er es verhindern konnte. »Meine Tochter wird nie heiraten! Habt Ihr verstanden? Nie!«
»Wie Ihr meint, Exzellenz.«
»Sprecht mit meinem Verwalter«, erklärte Bernat in etwas ruhigerem Ton weiter. »Gebt ihm das Rezept, damit der Kräuterhändler Eure Arzneien herstellt, und sagt ihm, wie hoch Euer Honorar ist. Er wird Euch Eure Dienste vergüten. Und jetzt verschwindet mir aus den Augen.«
Der gute Jude wusste nicht, womit er den anderen beleidigt hatte. Da er aber die Christen kannte, mit denen sich so schwer zusammenleben ließ, und da er sich bewusst war, dass die plötzlichen Stimmungsumschwünge der Mächtigen gewöhnlich ernste Unannehmlichkeiten ankündigten, entfernte er sich unverzüglich, nachdem er sich kurz verbeugt hatte.
Montcusí blieb niedergeschlagen und nachdenklich in seinem Arbeitszimmer allein. Halevis
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