Das Vermächtnis des Martí Barbany
hinauf. Der Graf vermutete, dass sie auf die Höhe des Waffenplatzes gelangt waren, denn der Lärm, der über ihren Köpfen zu hören war, kam von dem Gelage, das die Soldaten der Wache feierten. Dann ebbte das Getöse in der Nacht ab, und der Graf beobachtete, wie der Zwerg die Mauer abtastete, die das Ende des Gangs abschloss. Nach längerem Suchen fand er die Feder, und vor Ramóns erstaunten Augen glitt die Trennwand zur Seite, sodass der Zutritt zu einem Beichtstuhl an der Mauer frei wurde, der sich an der Seite einer kleinen Kapelle befand.
»Das ist die Privatkapelle der Gräfin«, erklärte Delfín. »Niemand kann hierherfinden, wenn er nicht den Gang kennt oder in die Gemächer meiner Herrin eindringt.«
Nachdem der Zwerg das Türchen des Beichtstuhls geöffnet und den Grafen aufgefordert hatte hinauszutreten, erklärte er weiter: »Jetzt müsst Ihr hier warten. Ich gehe und benachrichtige meine Herrin.«
Ohne mehr zu sagen, verschwand Delfín hinter einem seitlich angebrachten Vorhang und nahm den Kandelaber mit. Er ließ Ramón Berenguer, den Grafen von Barcelona, allein. Dieser staunte immer noch, denn er wurde von widersprüchlichen Empfindungen hin- und hergerissen: Ihn beseligten glückliche Hoffnungen, und ihn quälte das Schuldgefühl eines Mannes, der die Gastfreundschaft eines Bundesgenossen missbraucht und versucht, ihm die Frau zu rauben.
Das Licht im Sakramentshäuschen färbte die Szene rot. Die Augen des Grafen gewöhnten sich allmählich an das Halbdunkel, und kurze Zeit danach konnte er schon die Umrisse der Dinge erkennen. Ramón Berenguer kniete in der letzten Bank nieder und betete.
»Herrgott, das Schicksal reißt mich mit. Du hast mir diese Frau gezeigt, und mir bleibt keine andere Möglichkeit, als sie zu lieben. Du hast sie so geschaffen, dass sie meine Augen blendet und meinen Willen überwältigt. Ich bitte dich um Nachsicht für das, was ich tun will, wenn sie zustimmt. Vergib mir... Ich bin bereit, meine Seele dem ewigen Feuer auszuliefern.«
In diesem Augenblick erschien Almodis de la Marche im Strahlenkranz des Lichts, das aus der kleinen Sakristei hinter dem Altar kam. Sie trug eine diskrete Tunika, wie sie dem Schlafgemach einer Dame angemessen ist. In der linken Hand hielt sie eine Lampe, deren zitternder Schein die Schatten aus der Kapelle verscheuchte, wenn sie vorüberkam.
Die Gräfin von Toulouse entdeckte Ramón, der sich am anderen Ende des Betraums befand, und sie lief zu ihm. Er ging ihr entgegen, beugte das Knie und verneigte sich, um die Hand zu küssen, die sie ihm hinhielt. Dann richtete er sich auf, und beide wechselten einen innigen Blick.
Almodis ließ die Hand des Grafen nicht los und drängte ihn ohne Hast, ihr zu folgen. Der Mond spendete ein ganz zartes Licht, das durch die vielfarbige Fensterrose der Kapelle drang. Sie blickte den hypnotisierten Ramón Berenguer unverwandt an und führte ihn zu ihren Zimmern. Dabei liefen sie durch den Raum, der sich hinter dem Altar befand und in dem sich die Messpriester vor den liturgischen Zeremonien umkleideten. Unter den erstaunten Blicken des Grafen ging sie nun langsam voraus. Im Schein der zwanzig Kerzen zweier riesiger Leuchter entledigte sie sich ihrer Gewänder: Die erhaben bestickte Tunika, die Unterröcke und das Hemd fielen zu Boden. Am Ende löste sie den dicken Zopf, der ihre üppige rote Haarflut zusammengehalten hatte, und sie bot sich den Augen des Grafen vollkommen nackt dar. Ramón Berenguer, der bisher seine beiden Ehefrauen im schwachen Licht einer Kerze geliebt hatte – die Heiligenbilder wurden zur Wand gedreht, und die Nachthemden legte man nie ab -, konnte die Augen nicht von ihr abwenden. Die Gräfin stieg die Sprossen zu ihrem Himmelbett empor, streckte die Hand aus und lud ihn mit einer Geste ein, ihr zu folgen. Unbeholfen entkleidete sich der Graf und kletterte hoch zum Bett wie jemand, der die Zinnen
einer feindlichen Burg angriffslustig erklimmt. Als er voller Ungestüm die Rolle übernehmen wollte, die die Natur den männlichen Vertretern aller Arten zugewiesen hat, hielt sie ihn zurück.
»Bleibt ruhig. Genießen wir diesen Augenblick, der vielleicht einzigartig ist.«
Mit der rechten Hand drückte sie ihm sanft auf die Schulter und nötigte ihn, sich hinzulegen. Dann kauerte sie sich über ihn und nahm sein Glied in den Mund, während ihr Gesicht von der dichten, roten und ausgebreiteten Haarflut bedeckt war. Ramón Berenguer, der Graf von Barcelona, Osona und Gerona,
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