Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
erschaudern lässt und worauf ich keine Antwort weiß. Gott sei Dank sind es nur Träume, das ist mir ein großer Trost. Gebt gut auf Euch acht. Bis wir uns bald schon zum Kinderbischofsspiel in Hamburg wiedersehen, sind all unsere Gedanken bei euch. In Liebe, Runa.
Nachdem Margareta sich Runas Brief durchgelesen hatte, nickte sie zustimmend und strich sich dabei über den Bauch. »Ist es schlimm, sich ein Mädchen zu wünschen?«
»Aber nein«, wiegelte Runa ab.
»Nicht, dass es doch ein Junge ist und er meine Gefühle spürt. Das würde ich nicht wollen.«
Runa lachte kurz auf. »Glaube mir, wenn dein Kind geboren ist, wirst du es sofort lieben – ganz gleich, ob Junge oder Mädchen. Beides ist überwältigend, ich muss es ja wissen.«
Die Schwangere trat hinter Runa, die auf einem Schemel saß und eben damit begonnen hatte, sich das lange Haar durchzukämmen. »Lass mich das machen.«
Wortlos übergab Runa ihrer Schwester den Kamm, damit diese ihr die dicken, blonden Haare entwirren und flechten konnte, die sie von ihrer ebenso blonden Mutter geerbt hatte.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Sicher darfst du«, bejahte Runa.
»Vermisst du Thymmo sehr?«
Runa versetzte es einen Stich ins Herz. Mit aller Mühe versuchte sie, sich ihre wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen, doch Margaretas Nachfrage kam so überraschend. Schwer schluckte sie; um eine feste Stimme bemüht, gab sie ihre Antwort. »Natürlich vermisse ich meinen Sohn, doch es geht ihm gut, wo er ist. Er wird eines Tages ein Domherr werden, und darauf kann eine Mutter stolz sein.«
»Gewiss doch. Aber er ist noch so klein, und du bist so weit weg, wenn du in Kiel bist. Und selbst jetzt, wo du hier in Hamburg weilst, kannst du ihn nicht immer um dich haben.«
»Auch mir fällt das schwer, doch ich muss meine Gefühle unterdrücken, wenn es um sein Wohl geht. Dieses Schicksal teilen viele Mütter – auch du wirst das sehr bald noch erleben.«
Margareta legte den Kamm beiseite und begann zu flechten. Wenn es um Thymmo ging, waren Runas Worte oft hart. Doch Margareta fühlte den Schmerz dahinter. Schon längst war es kein Geheimnis mehr, dass die Schwester nicht gern über ihre Entscheidung, den Jungen fortzugeben, sprach. Margareta respektierte das, und lenkte das Gespräch in eine fröhlichere Richtung. »Bekommst du regelmäßig Nachricht über sein Befinden und seine Fortschritte?«
Augenblicklich wurde Runas Stimme wieder belebter. »O ja, gewiss doch! Seit einiger Zeit schreibt Thymmo die Briefe sogar selbst. Ich bewahre sie alle in meiner Truhe auf. Walther scherzt zwar immer, dass es fast an Vergeudung von Pergament grenzt, da er noch viele Schreibfehler macht, aber ich freue mich über jedes seiner Worte, ob richtig oder falsch geschrieben.« Runa blühte bei den Gedanken an die Briefe ihres Sohnes regelrecht auf. Lächelnd fügte sie noch hinzu: »Vor einer Woche kam auch ein Brief von Johann. Er schrieb, dass …«
»Johann?«, fragte Margareta etwas verwundert und hörte auf zu flechten. »Seid ihr euch etwa so vertraut?«
Runa kniff kurz die Augen zu und presste Zähne und Lippen aufeinander. So ein Mist, dachte sie. Immer wieder musste sie sich dazu ermahnen, ihren einstigen Geliebten vor anderen mit Johann Schinkel oder Ratsnotar zu betiteln, was sie von Zeit zu Zeit vergaß. »Ja … ich meine nein … es war bloß ein Versehen.«
»So, so …!« Margareta ging nicht weiter darauf ein und widmete sich wieder Runas Haaren, doch dieser kleine Vorfall erinnerte sie an einen Moment in der Petrikirche vor einigen Monaten. Schon damals war ihr etwas aufgefallen. Runa hatte mit ihr über Hereward von Rokesberghe gesprochen und dabei einen Vergleich zwischen ihm und Walther ziehen wollen. Aus Versehen hatte sie damals statt Walther Johann gesagt und zudem fortwährend zum Ratsnotar hinübergeschaut. Hätte in dem Moment nicht die Messe angefangen, wäre Margareta gewillt gewesen, ihre Schwester zu berichtigen, so wie gerade eben. Doch noch während sie daran dachte, dieses Mal genauer nachzufragen, drang ein vergnügtes Quietschen und Lachen in ihre Kammer und trieb die beiden Frauen zum Fenster.
»Das war doch Freyja«, sagte Runa und öffnete die Fensterluke weit. Dann blickte sie hinaus und rief ihrer Schwester zu: »Oh nein, nicht schon wieder …! Komm, wir müssen der Kinderfrau beistehen, bevor sie eines Tages noch der Schlag trifft.«
Die Frauen eilten nach unten auf den Hof, wo Freyja laut quietschend umherstob. Ihr
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