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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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die Augen des Jungen wütend.
    »Nun, die alte Debatte unter den Jungen des Marianums und der Nikolaischule ist ja bekannt – ich schätze, dass es sich hierbei um eine ähnliche Sache handelt.«
    »Ihr schätzt?«, fragte Johann. »Habt Ihr die Jungen dazu denn nicht befragt, Scholastikus?«
    »Das würde ich gern, Ratsnotar, doch beide schweigen beharrlich. Alles, was ich weiß, ist, dass bei ihrer heutigen Rangelei ein Buch zu Schaden gekommen ist. Irgendwie wurde es wohl vom Tisch gestoßen, worauf einer darauf trat und zwei Seiten einrissen.«
    Die Männer wussten die Tragweite dieses Schadens sofort einzuschätzen. Bücher waren ungemein kostbar. Dass die Jungen im Unterricht überhaupt Zugang dazu hatten, war ein großes Privileg.
    Johann schritt auf Thymmo zu und nahm den Siebenjährigen am Kinn, sodass er ihn ansehen musste. »Ist das wahr?«
    Der Junge antwortete nicht.
    Ehler schaute zu Thymmo.
    »Ich habe gefragt, ob das wahr ist!«, wiederholte er nun lauter und strenger.
    Thymmo schluckte. Er wollte ja gehorchen, doch er hatte Angst vor Ehler. Hasserfüllt blickte der ihn von der Seite an. Ohne Grund hatte der Ältere ihm heute seine Flöte vom Hals gerissen und ihn daraufhin schlimm verprügelt. Dabei war das Buch beschädigt worden. Zwar hatte Ehler Thymmo noch gedroht, dass er weitere Nikolaiten holen würde, wenn er ihn verriet, und er glaubte ihm, doch sein Respekt vor dem Ratsnotar war schlussendlich größer.
    »Antworte mir gefälligst, Junge!«
    Endlich gab das Kind nach und nickte zaghaft.
    In diesem Moment kam Leben in Ehler. Ohne Vorwarnung stürzte er sich auf den vier Jahre Jüngeren und riss ihn zu Boden. »Du verdammter Bastard! Ich habe gesagt, dass du still sein sollst. Du elender Marianer, dir zeige ich es!« Wie von Sinnen packte der Junge Thymmo am Kragen.
    Godeke reagierte schnell und sprang auf Ehler zu. »Hör sofort auf! Was für ein Dämon reitet dich nur, dass du dich so aufführst?« Erst als er sein Mündel an beiden Armen zurückzerrte, kam es wieder zur Besinnung. Godeke hatte alle Mühe gehabt, den um sich schlagenden Schüler zu bändigen. »Bist du jetzt verrückt geworden, Junge?« Er stieß Ehler grob in eine Ecke.
    Johann half Thymmo auf die Beine und musste an sich halten, um dem Angreifer seines Sohnes keine Ohrfeige zu verpassen.
    Jetzt erst ergriff der Scholastikus wieder das Wort. »Wie man deutlich sieht, ist keine Einsicht oder Willen zur Besserung in dem Verhalten der Jungen auszumachen – bei Ehler allerdings noch weit weniger als bei Thymmo. Darum ordne ich hiermit an, dass der Schaden am Buch beiden zu gleichen Teilen angelastet wird, da nicht mehr festzustellen ist, wer es beschädigt hat. Aber ich verlange außerdem, dass Ehler zehn Stockhiebe auf die Hände bekommt und Thymmo fünf. Und zwar hier und jetzt.« Nach diesen Worten nahm der Scholastikus eine Rute und fragte: »Wer möchte anfangen? Ich gehe davon aus, dass die Herren Ihre Mündel selbst züchtigen wollen. Wenn nicht, werde ich das übernehmen.«
    Einen Moment lang wollten Johann und Godeke ihren Ohren nicht trauen. Natürlich hatten die Jungen Strafe verdient, und auch Stockhiebe waren in der Schule keine Seltenheit. Heranwachsende brauchten schließlich eine strenge Hand, da waren sie sich alle einig. Doch dass ein Muntwalt selbst dazu gerufen wurde, um sein Mündel zu bestrafen, das war unüblich.
    Nach kurzer Stille trat Godeke vor und riss dem Scholastikus die Rute aus der Hand. Sein Blick war wütend, und alles in ihm sträubte sich dagegen, die Strafe auszuführen, doch er wusste, dass der Magister sicher noch härter zuschlagen würde als er. Drum zwang er sich, es selbst zu übernehmen.
    Ehler blickte Godeke mit großen Augen an. In seinem Blick lag Fassungslosigkeit aber auch ebenso viel Stolz. Ohne Aufforderung streckte er seine Hände vor.
    Godeke schlug zu.
    Bis zum fünften Schlag hatte der Elfjährige sich unter Kontrolle, doch der sechste Schlag traf seine empfindlichen Fingerkuppen und entlockte ihm den ersten und einzigen Schmerzensschrei. Danach hatte er sich wieder im Griff. Es war offensichtlich, dass er nicht schreien wollte.
    Godeke schaute Ehler nicht an. Er hatte das Gefühl, mindestens ebenso zu leiden wie sein Mündel, und hoffte, dass dieser durchhielt. Als es endlich vorbei war, sahen Ehlers Finger schlimm aus. Dunkelrote Striemen überzogen das Fleisch.
    Der Junge war gezeichnet vom Schmerz. Mühsam hielt er sich aufrecht, die Hände weiterhin in der Luft, ein

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