Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Graf war nicht dumm, und er kannte seine gewitzte Gemahlin. Und so ergriff er ihre Hand und fragte: »Kann es sein, dass Ihr mir etwas zu sagen versucht?«
Margarete schaute zu ihm und erwiderte in ihrer süßesten Stimme: »Nichts, was Ihr in Eurer Weisheit nicht sowieso schon wisst, mein Liebster.« Ihr Blick wanderte wieder zu den Hofdamen, die nun dabei waren, die letzten Gaben zu verteilen. Als sie fertig waren, beugte sie sich leicht mit dem Oberkörper zu Johann hinüber. »Schaut nur, das kleine Mädchen dort drüben könnte unsere Mechthild sein.«
Der Schauenburger lächelte schief. Er hatte sie schon längst durchschaut. »Nur dass es fast schwarzes Haar hat und auch sonst überhaupt nicht wie meine Tochter aussieht. Genug jetzt, Gemahlin.« Dann küsste er ihre Hand und lehnte sich wieder zurück.
In diesem Moment betrat Propst Albrecht den Bereich vor dem Altar und der Introituspsalm ertönte.
Abermals schaute Johann II. sein Weib an. »Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?«
»Nun, ich dachte, dass eine Predigt Eures Bruders, der Euch im Blute wie im Herzen nahe steht, das Richtige sei, um Euch für die anstehende Fehde zu stärken.«
»Eure Fürsorge scheint schier grenzenlos, Liebste, ebenso wie meine Erwartung an diese erquickende Messe«, sprach der Graf spöttisch.
»Dann genießt sie in vollen Zügen«, riet die Gräfin und ließ den Dingen ihren Lauf.
Es folgte die Begrüßung des Evangelienbuches und des Altars, dann die Kyrierufe und der Gloriahymnus. Propst Albrecht machte seine Sache gut – jedenfalls in den Augen der Gräfin. Doch erst als endlich die Predigt begann, überkam sie tiefe Zufriedenheit. Die eindringlichen Worte über Nächstenliebe, das Verbot zu morden und die Pflicht der Reichen über die Armen, die ihnen dienten, zu wachen, verließen seinen Mund mit solcher Inbrunst, dass es einfach unmöglich war, dabei nicht an die gräfliche Feindschaft und ihre Folgen zu denken.
Und genauso hatte Margarete von Dänemark es sich erdacht. Ihr war es gleich, dass der Scholastikus darüber verärgert war, dass seine eigens verfasste Predigt über die Unendlichkeit des Fegefeuers mit dem Eingreifen der Gräfin durch die des Propstes ersetzt worden war. Alles was für sie nun zählte war, dass ihr Gemahl aufmerksam zuhörte – und zwar bis zum letzten Segenswort der Entlassung!
Lieber Vater, liebe Mutter, eure beiden Töchter und eure drei Enkelkinder, geborene und ungeborene, schicken euch all ihre Liebe. Wir hoffen, ihr seid wohlauf und sitzt gerade auf Großmutters alten Sesseln vor einem wärmenden Feuer in eurem Haus auf der Riepenburg. Unaufhörlich fällt Schnee aus Gottes Himmelreich zu uns herab, und es ist bitterkalt. Seither verlassen wir die warme Kemenate kaum noch. Die Gräfin zeigt sich wie immer sehr zuvorkommend, was das Leben auf dem Kunzenhof zur Freude macht. Sie hat Margareta angeboten, eine Weile lang hier zu leben – doch das wisst ihr sicher schon. Eccard müsste euch mittlerweile erreicht und euch von den aufregenden Neuigkeiten berichtet haben, die ich aus Vorsicht besser nicht niederschreiben will. Gott war unserer Familie gnädig, jetzt muss er es nur noch den Armen gegenüber sein und dafür sorgen, dass die Fehde abgewendet wird. Betet dafür! Wie geht es deinem Knie, Mutter? Hast du Schmerzen, wie immer bei kaltem Wetter? Wir bitten dich, übernimm dich nicht, und lass dir helfen, wo es geht. Margareta und ich sorgen uns auch um Alusch, die es ja stets vorzieht, eine Kammer in der zugigen Burg zu bewohnen, anstatt zu euch ins Haus zu kommen, und um den alten Müller Erich. Vielleicht holt ihr ihn zu euch auf die Burg, solange der Schnee ihn von der Welt abschneidet. Margareta ist wohlauf, doch von Zeit zu Zeit wird sie von Übelkeit geplagt. Ihr Bauch zeichnet sich bereits leicht unter ihrem Kleid ab. Sie ist fest davon überzeugt, dass es ein Mädchen wird, Eccard denkt, es wird ein Junge. Freyja redet immerzu mit Margaretas Bauch und sagt dem Kind, es solle endlich rauskommen, damit sie miteinander spielen können. Leider quälen sie immer noch diese grausamen Träume. Vergangene Nacht war es wieder besonders schlimm. Abermals sah sie das Feuer, in dem sie fast starb, doch diesmal kam ihr kein Pferd zu Hilfe. Die Hoffnung auf Besserung habe ich fast schon aufgegeben, denn ihre Bilder scheinen mir eher schlimmer denn abgeschwächt. Immer wieder fleht sie mich nach dem Erwachen an, dass ich sie suchen muss und niemals aufgeben darf, was mich stets
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