Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
ihrer Schwester: »Das hält man hier also von mir. Und ich kann es den Leuten nicht einmal verdenken. Sie kennen die Wahrheit über Eccard ja nicht.«
»Sorge dich nicht«, flüsterte Runa ihr zu. »Alles wird sich zu gegebener Zeit aufklären, und dann bist du die Frau eines Helden!«
Weitere Worte verloren sie darüber nicht, denn noch sollte niemand die Wahrheit erfahren, und der Kunzenhof beherbergte viele Ohren. Drum schauten sie Walther und Freyja eine Weile lang zu, deren Anblick ihre Herzen erwärmte. Mittlerweile saßen sie zusammen auf dem Pferd. Walther ritt einhändig, und vor ihm saß Freyja, die er fest mit dem anderen Arm umschlungen hielt. Die Stute hatte bereits einen großen Kreis in den Schnee getrampelt, als Walther schnalzte und sein leichtfüßiges Ross in einen Galopp antrieb.
Runa zog geräuschvoll die Luft ein, doch Freyja jauchzte nur noch mehr.
Margareta fasste Runa beruhigend am Arm. »Was für ein guter Reiter Walther mittlerweile geworden ist. Sein Pferd scheint ihm aufs Wort zu gehorchen.«
Runa entspannte sich etwas und sagte nach einiger Zeit: »Sie heißt Brun.«
»Die Stute?«
»Ja, wegen ihrer Fellfarbe hat Walther die Gräfin gefragt, was Braun auf Dänisch heißt und sie so genannt.«
»Ein Pferd, das Braun heißt?« Margareta musste lachen. »Das ist nicht besonders einfallsreich.«
Runa blickte ihre Schwester an und stimmte in ihr Lachen ein. »Da gebe ich dir recht!«
Während die Frauen scherzten, wurden sie plötzlich auf ein donnerndes Geräusch aufmerksam. Es war ein Reiter, der im vollen Galopp vom Kunzenhof preschte. Hinter sich ließ er eine Spur von aufgewirbeltem Schnee.
»Wer war das denn?«, fragte Runa verwundert.
Margareta zuckte ratlos mit den Schultern. »Auf jeden Fall hatte er es eilig.«
Auch Walther hatte den Reiter gesehen. Er ließ Freyja mit einem Arm langsam zu Boden gleiten und bedeutete ihr, zu den Frauen zu gehen. »Lauf zu deiner Mutter.« Dann richtete er seinen Blick auf Runa und Margareta und nickte langsam. Im gleichen Moment ließ ein Geräusch die drei nach oben blicken. Ein Fenster wurde geöffnet. Dahinter standen die Gräfin und der Propst, die beide dem Reiter hinterhersahen.
Nur wenig später hatte es jeder auf dem Kunzenhof mitbekommen. Die freudige Neuigkeit verbreitete sich schnell wie der Wind: Der Reiter war ein Abgesandter des Propstes gewesen, der im Einvernehmen seines Bruders handelte. Er trug ein Schreiben bei sich, in dem Graf Gerhard II. dazu aufgefordert wurde, in die Bedingungen einer Sühne einzuwilligen. Zum Erstaunen aller hatte Graf Johann II. also seine Haltung überdacht und zog nun tatsächlich eine friedliche Lösung in Betracht. Wenn sein Vetter darauf einging, konnte die Fehde womöglich noch abgewendet werden.
Die wenigen, die wussten, dass dies der Gräfin zu verdanken war, welche mit ihrem Geschick und ihrer Feinfühligkeit erfolgreich sanften Druck auf ihren Gemahl ausgeübt hatte, schwiegen still.
Selten wurde in den Kammern des Kunzenhofs so inbrünstig gebetet wie in jener Nacht!
5
Godeke und Johann Schinkel trafen gleichzeitig in der Kurie des Scholastikus’ ein. Man hatte sie durch einen Chorjungen herbestellen lassen, ihnen jedoch nicht gesagt, worum es ging. Als sie jedoch die Schreibstube des Magisters betraten, wurde ihnen der Grund nur allzu klar.
Thymmo und Ehler saßen mit gesenkten Köpfen in der Ecke und machten schuldbewusste Gesichter.
»Was ist geschehen?«, fragte Johann voller Sorge. Ihm war nicht entgangen, dass die Jungen täglich stritten, seitdem Ehler das Marianum besuchte und Thymmo nun noch weniger gern zur Schule ging.
»Ja, das würde ich auch gerne wissen«, ließ Godeke verlauten, der weniger besorgt und viel mehr ärgerlich klang. Er ahnte bereits, dass Ehler nicht unschuldig an dem sein konnte, was man den Jungen vorwarf.
Der Scholastikus stand von seinem Sessel auf und ging auf die Männer zu. Sein Gesicht war geradezu versteinert. »Um das zu erläutern, habe ich Euch rufen lassen. Das Eure Mündel, Godeke von Holdenstede, und das Eure, Ratsnotar, geraten ständig in Streit. Ich habe Beschwerden aller Rektoren vorliegen. Man hat sie schon auseinandergesetzt, doch das hat auch nichts geändert. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit fallen sie sich an wie zwei Köter, die um einen Knochen kämpfen.«
Godeke schaute zu Ehler, der ihm in genau diesem Moment das Gesicht zuwandte. Doch die Betrübtheit in dessen Miene war wie weggeblasen. Plötzlich funkelten
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