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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Haar war auf einer Seite geflochten und auf der anderen offen. Hinter ihr rannte die wütend dreinblickende Kinderfrau, mit gerafften Röcken. »Bleib stehen, du ungezogenes Mädchen. Komm sofort zurück! Hörst du nicht? Freyja …!«
    Runa und Margareta blickten sich vielsagend an. Ihnen war sofort klar, wohin das Mädchen wollte. Und nur einen Moment später flitzte es an der Kinderfrau vorbei in die Stallungen.
    Runa und Margareta kamen gerade hinterher, als sie sahen, wie das Mädchen seinen Vater erblickte, der bei seiner Stute stand. Freyja rannte lachend auf ihn zu.
    Walther konnte gar nicht anders, als seine Arme auszubreiten, sie darin einzuschließen und umherzuwirbeln. »Ja was ist denn hier los?«, fragte er mehr belustigt als verärgert und setzte Freyja wieder zu Boden.
    In diesem Augenblick eilte die Kinderfrau atemlos in den Stall und warf dem Kind einen ärgerlichen Blick zu. »Sie ist einfach davongelaufen. Immerzu will sie in den Stall, das ist doch nicht normal für ein Mädchen«, schimpfte die strenge Frau.
    Walther sah seine Tochter an, die nun schuldbewusst den Kopf senkte, sich aber gleichzeitig an ihren Vater schmiegte. Eigentlich sollte er jetzt streng sein, dachte er, und dennoch ließ er verlauten: »Lass sie nur …«, und ließ Freyja laufen.
    Die Empörung darüber, dass das Mädchen mit ihrem Willen durchkam, war der Kinderfrau deutlich anzusehen. »Aber Ihr könnt doch nicht einfach …«
    Währenddessen war Freyja flink an einer der Boxenwände hochgestiegen und auf den Rücken der väterlichen Stute geklettert, wo sie sich gleich ein Büschel der Mähne griff, um es zu flechten.
    Die Kinderfrau stieß einen solch übertrieben lauten Schrei aus, dass alle Anwesenden versucht waren, sich die Ohren zuzuhalten. Schon war sie zu dem Kind geeilt und zerrte es von dem Pferd. In ihrer Wut begann sie, Freyja zu schütteln. »Du … du Satan!«
    Runa war sogleich zur Stelle und riss ihre Tochter aus den Armen der Kinderfrau. »So nennst du mein Kind nicht noch einmal, hast du gehört?«
    Die Frau war so zornig, dass sie sich einen Moment lang vergaß. Abschätzig blickte sie auf Runa, dann auf Margareta und sagte: »Naja, was soll man auch erwarten, bei so wild gemischten Eltern … Und dann ist die Tante auch noch die Gemahlin eines Grafenbeleidigers …«
    In diesem Moment fing sie sich eine Ohrfeige ein. »Du wagst es …! Was fällt dir ein, meine Familie zu beleidigen? Glaubst du etwa, du bist was Besseres?«
    Die Kinderfrau hielt sich die Wange. Sie war eindeutig zu weit gegangen.
    »Es scheint, als wärest du dir wohl zu fein für deine Arbeit! Ein Wort bei der Gräfin und …«
    »Nein, bitte nicht. Ich habe es nicht so gemeint.« Plötzlich verstand die Getadelte, dass sie dabei war, ihre Anstellung auf der Burg zu verlieren. Sie bekam es mit der Angst zu tun und flehte: »Bitte verzeiht, Dame Runa. Bitte verzeiht, Dame Margareta. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Schande über mein freches Mundwerk. So etwas wird nie wieder vorkommen.«
    Walther blickte zu Runa, die noch immer Freyja im Arm hielt. »Lass sie gehen.«
    Runa setzte das Kind ab und schaute die Kinderfrau, die jetzt gar nichts Überhebliches mehr an sich hatte, noch ein letztes Mal wütend an. »Auch wenn ich es missbillige, was du allem Anschein nach von uns denkst, ist Verzeihen eine christliche Tugend. Du kannst gehen.«
    »Habt tausend Dank. Ich verdiene Eure Milde nicht!«, murmelte die Geläuterte noch, knickste und verschwand.
    Runa aber war noch immer wütend. Sie hätte die Kinderfrau am liebsten von der Burg gejagt, doch sie wollte keine Scherereien. Als die vier wieder allein waren, nahm sich Runa ihre Tochter vor. »Du hast meine Milde im Übrigen auch nicht verdient, Freyja. Warum läufst du immer fort?«
    Das Mädchen wies auf die braune Stute, sagte aber kein weiteres Wort mehr.
    Auch Walther schaute an seiner Tochter herab, die ihn mit ihren kugelrunden, bernsteinfarbenen Augen ansah. Ihr kastanienfarbenes Haar hing ihr auf der offenen Seite wirr in alle Richtungen, und der eine noch geflochtene Zopf begann sich nun ebenfalls zu lösen. »Willst du reiten?«
    Freyja grinste von einem Ohr zum anderen. Eifrig nickte das Mädchen. In diesem Moment griffen zwei große Hände nach der Taille des Kindes und hoben es hoch, als wöge es nichts.
    »Gut, aber danach tust du, was von dir verlangt wird, einverstanden?«
    Wieder nickte sie.
    Während alle den Stall verließen, sagte Margareta leise zu

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