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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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niemals leben können: mit dieser unterschwelligen Zwietracht tagein tagaus, die zwischen ihnen herrschte.
    »Du isst ja gar nichts«, bemerkte Oda plötzlich.
    »Ich habe keinen Hunger«, erwiderte er und schob seine Schüssel von sich.
    »Schmeckt dir nicht mehr, was ich bereite? Vor nicht allzu langer Zeit hast du es gern gegessen.«
    »Vor nicht allzu langer Zeit war einiges in diesem Hause anders. Ist es nicht so?«
    Oda schaute ihn mit einem Blick an, der so vorwurfsvoll war, dass Godeke sie deshalb hätte tadeln können, doch er hatte kein Interesse daran. Und auch sie sagte nichts und aß weiter. Beide schwiegen, ohne es wirklich zu bemerken.
    Godeke starrte weiter vor sich hin und versank im Flackern der Kerze vor sich. Er wusste nicht, was er tun sollte, doch etwas musste geschehen. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Sein Blick haftete an der gelblichen Flamme vor sich, als seine Gedanken zu der zweiten Sache abschweiften, die ihn seit Tagen beschäftigte: Ava!
    Unwillkürlich kamen ihm Bilder in den Kopf. Sie ließen ihn nicht mehr los, was immer er auch tat. Es waren Bilder von Ava im Schnee auf dem Kattrepel, dann ihr Lachen und ihr geöffnetes Haar, das sie umgab wie wallende Seide. An jenem Tag war etwas in ihm entfesselt worden, was lange im Verborgenen geschlummert hatte. Mehr und mehr verlor er die Kontrolle darüber. Seine Gefühle waren jener Art, wie ein Mann sie eigentlich nur bei seinem eigenen Weibe haben sollte. Wann hatte das angefangen? Er konnte es nicht sagen. Es war verwirrend und beflügelnd zugleich. Zu behaupten, er hätte sich im Griff, wäre eine Lüge gewesen. Schon jetzt hatten sie zu viel gewagt. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis es auch anderen auffallen würde, dass Ava und er sich seltsam benahmen.
    Oda war fertig mit ihrem Essen. Sie erhob sich schweigend und begann, alles auf dem Tisch zusammenzustellen.
    Auf einmal schnellte Godekes Arm nach vorne und packte sie am Handgelenk. Grob riss er sie zurück auf ihren Stuhl und ließ sie auch dann nicht los. Sein Blick schien sie zu durchbohren. Ohne Worte schrie er ihr entgegen, dass er sie nicht mehr ertrug. Doch es kam ihm nichts über die Lippen.
    Nach einer ganzen Weile sagte sie: »Du tust mir weh.«
    Godeke ließ sie los, und sie verschwand aus der Stube. Entmutigt sank sein Kopf in seine Hände. Die Last auf seinen Schultern schien immer schwerer zu werden. Fast erdrückte sie ihn mittlerweile. Er wusste, es gab nur eine Möglichkeit, dieser Bürde zu entkommen und endlich frei zu sein, und so stand er auf, um den Weg anzutreten, den er in Gedanken schon viele Male gegangen war.
    Seine Füße trugen ihn in den Westen der Stadt. Er lief schnell, denn seine Angst umzukehren war groß. Nachdem er sein Ziel erreicht hatte, vergingen Stunden, ohne dass er es wieder verließ. Es war bereits spät am Tage, als es endlich getan war. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Godeke ging wieder, seine Schritte waren jetzt langsam und bedächtig.
    Während er die Trostbrücke überquerte und den Weg Richtung Grimm-Insel einschlug, erlebte er das Gespräch von eben noch einmal Wort für Wort in seinem Kopf. Hatte er auch wirklich keinen Fehler gemacht?
    »Ich bin gekommen, um dir einen Vorschlag zu unterbreiten, mein Freund.«
    »So? Was für einen?«
    »Nun, du solltest wissen, dass ich deinem Vater in einer Sache zustimme.«
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Welche Sache ist das? Lass schon hören …!«
    Godeke war mittlerweile an der Zollenbrücke angekommen. Er trat auf ihre höchste Stelle zu und umfasste die Seitenwand mit beiden Händen. Sein Blick glitt aufs Wasser hinaus, während er seine eigenen Worte im Kopf erklingen hörte.
    »Du solltest wieder heiraten!«
    »Darüber haben wir doch letztens schon gesprochen, Godeke. Es gibt keine Frau, die mich interessiert.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Leider ja, ich wünschte es wäre anders. Aber ich bleibe lieber unverheiratet, als dass ich mir eine Hässliche oder Kranke ins Haus hole, bloß weil ihre Eltern vermögend sind.«
    »Nun, vielleicht gibt es ja auch noch eine andere Möglichkeit?«
    »Ach ja? Und welche?«
    »Du heiratest Ava!«
    Obwohl der Satz nur noch in seiner Erinnerung existierte, versetzte er ihm einen Stich. In diesem Moment hatte Christian Godonis sich das erste Mal aufrecht hingesetzt. Sein immer müder Blick war plötzlich aufgeklart.
    »Du meinst Ava Schifkneht? Die Witwe? Tochter von Fridericus von Staden?«
    »Genau die meine

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