Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
und sagte in bedrohlich ruhigem Ton: »Solltet Ihr tatsächlich bloß ein Lügner sein, dann gnade Euch Gott.«
Everard atmete tief durch. Er schaute sich um. Die Halle des Grafen war gefüllt mit Rittern und Knechten, Dienern und Mägden. Er konnte unmöglich hier sagen, was er loszuwerden gedachte. Schließlich war die Wahrheit nichts für jedermanns Ohren. »Herr, verzeiht meine dreiste Bitte, doch gibt es vielleicht die Möglichkeit, vertraulich mit Euch zu sprechen?«
»Vertraulich?« Der Graf war sichtlich verblüfft. »Ihr kommt hierher zu meiner Burg, behauptet gar Verwunderliches, und nachdem man Euch zu mir geführt hat, bittet Ihr mich nun auch noch um ein Gespräch im Geheimen? Findet Ihr nicht, dass das sehr viel verlangt ist, dafür, dass ich weder Euch noch Eure Gefährten kenne?«
»Ich weiß, meine Bitte mag gewagt sein, und es stimmt, dass wir uns nicht bekannt sind. Doch Euer Vater, Graf Gerbert von Stotel, kannte mich sehr wohl, und er schenkte mir sein Vertrauen.«
Nun wurde das Gesicht des Grafen etwas versöhnlicher. »Ihr kanntet also meinen verstorbenen Vater?«
»Ja, Herr. Und ihn betrifft auch meine Nachricht.«
»Welcher Art waren die Vertrauensbekundungen, von denen Ihr sprecht?«
»Man könnte mich als … Bewahrer seines Leumunds und Beschützer Eures Erbes betrachten.«
Johannes I. kam ins Hadern. Vielleicht war dieser Kirchenmann doch kein Lügner. »… Bewahrer seines Leumunds …«, wiederholte er nur für sich. Eine bittere Vorahnung beschlich ihn.
Everard blickte dem Grafen bei seinen nächsten Worten tief und eindringlich in die Augen, in der Hoffnung, dass dieser verstand. »Genau genommen geht es um sein Vermächtnis – einen Teil seines Vermächtnisses, das im Gegensatz zu ihm selbst noch überaus lebendig ist.«
Nach einer kurzen Weile des Überlegens erhob sich der Graf, schritt geschwind und mit wehender Kleidung an Everard und den immer noch knienden Kuno und Johannes vorbei. Während er sie passierte, befahl er: »Folgt mir. Alle drei!«
In einer Kammer neben dem Saal, mit einem lodernden Feuer im Kamin, bilderreichen Teppichen an den Wänden und einem mächtigen Holztisch in der Mitte, auf dem silberne Leuchter standen, die über und über mit zerlaufenem Wachs bedeckt waren, bekam Everard, was er sich gewünscht hatte.
Nachdem zwei Diener die Tür geschlossen hatten, forderte Johannes I.: »So, Fremder. Nun sind wir allein. Jetzt sprecht endlich deutlich, in Gottes Namen! Um welchen Bastard meines Vaters geht es?«
Everard kämpfte sein aufwallendes Erstaunen nieder. Der Graf hatte also bereits verstanden, worum es ging, das machte die Sache etwas leichter. »Es geht um einen Mann namens Walther von Sandstedt.«
»Woher kennt Ihr diesen Mann? Ist Eure Behauptung überhaupt glaubwürdig?«
»Das ist sie durchaus. Ich habe ihn aufgezogen, bis er vierzehn Jahre alt war.«
»Welche Metze ist seine Mutter?«
»Das ist wahrscheinlich das Schlimmste an der ganzen Sache – sie ist eine Stedingerin!«
Diese Nachricht entlockte dem bislang recht beherrschten Grafen nun doch einen Laut des Entsetzens. Ruckartig drehte er sich um, fuhr sich mit der Rechten über den Kopf und strich sein Haar zurück. Dann griff er unvermittelt nach einem der Leuchter und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen eine Wand. Alle im Raum erschraken, und einer seiner Diener musste sogar in Deckung gehen, um das Silber nicht an den Kopf zu bekommen. Nach diesem Ausbruch allerdings, hatte der Fürst sich schnell wieder im Griff. »Eine Stedingerin«, spie er verächtlich aus. »Von all seinen Bastarden ist dieser also der Verachtenswerteste. Warum ist er all die Jahre am Leben geblieben und wurde nicht schon längst getötet?«
»Es tut mir leid, Euch das sagen zu müssen, aber so, wie es mir damals angetragen wurde, hat Graf Gerbert von Stotel es nicht vermocht, das Kind zu töten … ihr zuliebe!«
Der Graf schaute auf und nickte. »Es war also ein Kind der Liebe und keines, was durch Gewalt gezeugt wurde?«
»Ja, so ist es«, bestätigte Everard.
Mit nun wieder ruhiger Stimme fragte er: »Wo ist dieser Bastard jetzt?«
»Er lebt bei einem der Schauenburger Grafen.«
»Bei welchem der fünf?«
»Graf Johann II. von Kiel.«
Jetzt wurde der Blick des Grafen starr. In seinem Kopf erschienen Bilder. Kiel …! Das Turnier …! »Habe ich es doch gewusst«, flüsterte er vor sich hin, als er an die Begegnung mit dem Mann auf dem Kampfplatz dachte, der ihm so ähnlich gesehen hatte.
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