Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
»Es war doch kein Zufall.« Plötzlich ging ein Ruck durch ihn, und sein Blick wurde wieder klar. »Ist er etwa ein ritterlicher Gefolgsmann Johanns? Ich dachte, er gehört zu diesem Ritter namens Ribe.«
»Nein, er verdingt sich am Hofe Johanns II. als Spielmann.«
»Ein Spielmann?«, fragte der Graf verächtlich. »Ein in Sünde gezeugter, gräflicher Spielmann mit Stedinger Blut in sich? Großer Gott, wie schlimm kann es denn noch kommen? Was für ein unwürdiger Halbbruder!«
»Da gebe ich Euch recht, Herr. Doch irrt Euch besser nicht in ihm. Er hat sich viele Jahre lang als Nuncius bei einem Ratsherrn verdingt und dessen Tochter geheiratet. Erst nachdem Graf Johann II. von Kiel sein Augenlicht auf einer Seite verloren hatte, ist er als Spielmann in dessen Dienst getreten.«
»Ihr meint den Hühnerknöchelwurf des Narren seines Vetters?«
»So ist es. Nach diesem Vorfall ließ Gräfin Margarete von Dänemark nach Walther von Sandstedt schicken, um die Heilung ihres Gemahls durch Musik voranzutreiben. Der Graf war derart angetan von dem Minnesang Eures Halbbruders, dass er ihn seither hoch schätzt.«
»So, so …«, brummte Johannes I. vor sich hin. »Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt, Fremder?«
»Nun, ja und nein. Wenn Ihr meine bescheidene Meinung hören wollt, so denke ich, dass mein einstiges Mündel Euch nach der Stellung als Graf von Stotel, ja, vielleicht sogar nach dem Leben trachtet. Und ich bin mir sicher, dass er seine Verbundenheit mit Graf Johann II. sehr bald für ebendiese Zwecke nutzen wird.« Diese Anschuldigung war selbstverständlich eine Lüge – schließlich wusste Walther nichts von seiner Herkunft –, doch das war Everard gleich.
Der Fürst schaute den Geistlichen noch einmal eindringlich an. Es war nicht zu übersehen, dass er noch immer abwog, ob er dem Fremden trauen konnte. Doch das eben Vernommene war einfach zu unangenehm, um es zu missachten – vorausgesetzt, es stimmte! Schließlich sagte er: »Sollte das die Wahrheit sein, dann muss diesem Walther schnell Einhalt geboten werden. Ich werde nicht zulassen, dass mir ein Bastard meines Vaters in die Quere kommt!«
Everard lächelte. »Wenn das so ist, habe ich einen Vorschlag für Euch, der Euch möglicherweise gelegen kommen könnte.«
»Einen Vorschlag? Was für einen?«
»Ist es schon bis Stotel vorgedrungen, dass Johann II. von Kiel seinem Vetter Gerhard II. von Plön jüngst die Fehde erklärt hat?«
»Nein, ist es nicht«, gab der Graf nun interessiert zu. »Aber eine Fehde eröffnet mir natürlich ganz neue Möglichkeiten.«
»So ist es«, bestätigte der Geistliche.
»Wie steht Ihr zum Schauenburger Gerhard II.?«
»Mein Verhältnis zu Graf Gerhard II. ist zugegebenermaßen nicht unbelastet, doch wenn wir uns zusammentun, bekommen wir mit Sicherheit beide, was wir wollen. Ich erkläre es Euch gern ausführlich, wenn Ihr mögt.«
»Ja, tut das. Fangen wir doch vielleicht mit Eurem Namen an, Fremder.«
»Vater Everard! Zu Euren Diensten …!«
Godeke hatte eigentlich genug anderes, über das er nachdenken sollte: die Fehde, das Kinderbischofsspiel, sein eigener Holzhandel. Und doch kreisten seine Gedanken seit Tagen nur noch um dasselbe: Ava und Oda!
»Noch Wein?«
»Nein, danke«, ließ er seine Frau wissen, die den Krug wieder abstellte und sich ihrem Mahl widmete. Er schaute ihr beim Essen zu, aß selbst aber keinen Bissen. Äußerlich sah sein Weib aus wie immer – wie an dem Tag, an dem er sie geehelicht hatte –, dennoch war sie nicht die gleiche Frau. Oda hatte sich verändert, das war ihm nach der Situation in ihrer gemeinsamen Kammer endgültig klar geworden. Seither benahmen sie sich, als seien sie einander fremd.
Kurz schaute sie auf, lächelte schmallippig, senkte dann wieder den Blick.
Bislang hatte er es immer wieder auf die Umstände geschoben. Sie waren der Grund für Odas verwandeltes Wesen. Vielleicht aber war auch er derjenige, der sich verändert hatte und der nicht mehr in der Lage war, sie zu lieben? Doch ob nun sie oder er oder eben die Umstände Schuld trugen, was änderte das? Rein gar nichts.
Godeke blieben nicht viele Möglichkeiten, denn niemals hätte er Oda verstoßen – obwohl es sogar rechtens wäre, sollte sie ihm weiter keine Kinder gebären. Doch das war nicht seine Art, und das hatte auch Oda nicht verdient. Wie auch immer man es drehte, seine Lage war vertrackt. Godeke konnte sehr wohl damit leben, keine Nachkommen zu haben, doch mit einer Sache würde er
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