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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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die Angesprochenen. Erst kurz bevor sich die Situation selbst verriet, sagte Oda zu der Witwe: »Ava, was ist mit dir? Willst du Walther und Runa denn nichts anbieten? In deinem Haus bekommt doch sonst jeder, was sein Herz begehrt .« Nach diesen zumindest für Ava und Godeke sehr eindeutigen Worten, sah sie ihren Gemahl mit einem Blick an, der ihm schier das Blut in den Adern gefrieren ließ. In ihr brodelte es. Eben noch hatte Oda ernsthaft in Erwägung gezogen, einen von beiden an den Hals zu springen und lautstark anzuklagen, doch sie schaffte es, ihre Wut, ihre Enttäuschung und das stechende Gefühl der Demütigung erfolgreich zu bekämpfen – jedenfalls für den Moment.
    Während Ava sich endlich mit hochrotem Kopf in Bewegung setzte, um etwas zu trinken zu holen, begrüßte Godeke Runa und Walther mit teilnahmslosen Gesten und gleichgültigen Fragen. Oda hielt sich bedeckt. Ihre Gedanken hingen dem nach, was soeben geschehen war, und reichten auch noch weiter zurück. Als Godeke die Muntwaltschaft Avas übernommen hatte, war ihr zunächst nie der Verdacht gekommen, ihr Gemahl könnte ihr dadurch je abtrünnig werden – nicht Godeke, und schon gar nicht mit der Frau Thiderichs, seines Vaters bestem Freund! Doch irgendwann in den letzten Wochen hatte sie zu zweifeln begonnen, und egal wie oft sie sich sagte, dass seine Besuche mit der nötigen Erziehung von Ehler und Veyt zu begründen waren, der schale Geschmack in ihrem Mund war geblieben. Ganz plötzlich wurde ihr klar, dass sie es schon eine ganze Weile lang geahnt, sich die Wahrheit aber einfach nicht hatte eingestehen wollen. Heute wusste sie: Sie hatte sich nicht geirrt!
    Die zwei Männer und drei Frauen begaben sich in die Stube, wo sie ihre Becher erhoben und darauf warteten, dass die Magd des Hauses Brot und Käse auftischte.
    In diesem Moment kamen Ehler und Veyt von der Schule zurück. Die beiden Jungen freuten sich aufrichtig über den Besuch der Tante und des Onkels, die sie in letzter Zeit, da diese auf dem Kunzenhof wohnten, häufiger sahen, und bestürmten vor allem Walther gleich mit einer Frage.
    »Bitte, kannst du uns etwas auf deiner Laute vorspielen?«, fragte Veyt.
    »O ja, bitte spiele uns was vor!«, setzte Ehler nach.
    Ava schüttelte den Kopf und schimpfte halbherzig: »Nun lasst euren Onkel doch erst einmal etwas essen.«
    Walther lachte und strich Veyt und Ehler über die Köpfe. »Jungs, ich spiele euch später etwas vor, in Ordnung? Aber zuerst werden wir uns ein wenig stärken. Und bevor ich euch diesen Wunsch erfülle, würde es mich freuen, wenn du mir zuliebe das Tischgebet sprichst, Ehler.«
    Der Junge ließ den Kopf hängen. Ständig musste er das tun. »Warum kann das denn nicht mal Veyt machen?«, jammerte er, stellte seine Ellenbogen auf den Tisch, stützte sein Kinn auf seine Hände und schob die Unterlippe vor.
    Jetzt war es Godeke, der etwas sagte. »Weil Veyt im Gegensatz zu dir nichts gutzumachen hat! Erinnerst du dich nicht mehr …?« Bei diesen Worten wies er mit seinem Kinn in Richtung von Ehlers Händen.
    Der Junge richtete sich augenblicklich auf, und sein Gesicht wurde wieder ernst. Als er merkte, dass alle auf seine Hände starrten, setzte er sich blitzschnell darauf – jedoch nicht schnell genug für Runas Augen.
    »Herr im Himmel, was ist denn mit deinen Händen geschehen?«, stieß sie erschrocken aus.
    »Das war Godeke«, antwortete der Junge in einem patzigen Ton. »Der Scholastikus hat’s befohlen. Ich habe zehn Hiebe auf die Hände bekommen, und im Gegensatz zu dem Schwächling Thym…«
    »Still!«, befahl ihm Godeke streng und schnitt ihm damit gerade noch rechtzeitig das Wort ab. »Wenn du dich jetzt nicht benimmst, wirst du die Stube ohne etwas zu essen verlassen!« Godekes Worte waren unerbittlich und seine Stimmung düster; um nichts in der Welt wollte er, dass seine Schwester jetzt auf diese Weise von Thymmos Bestrafung erfuhr. Er wusste, sie wäre außer sich vor Sorge, und dieser Moment war wahrlich auch so schon verzwickt genug. Drum schloss Godeke: »Das hat hier jetzt nichts verloren. Und nun gehorche, und sprich das Tischgebet.«
    Ehler gab sich geschlagen, da er spürte, dass Widerstand gerade nicht besonders ratsam wäre. Also faltete er die geschwollenen Hände mit den mittlerweile blasser gewordenen roten Striemen darauf, schloss die Augen und sprach: »Domine Jesu Christe, panis Angolorum, panis vivus aeternae vitae benedicere digna panem istum, sicut benedixisti panes in deserto,

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