Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
haben uns lange nicht gesprochen.«
»Ratsnotar«, erwiderte Walther ebenso respektvoll und neigte den Kopf. »Da habt Ihr recht. Ein Versäumnis, für das ich mich entschuldigen will.«
Ihre letzte Unterhaltung in der Kurie hatte zwischen den Männern etwas bewirkt. Sie waren einander etwas näher gekommen, hatten neue Achtung vor dem anderen bekommen, wenn es auch keine Freundschaft zwischen ihnen geben konnte.
»Ebenso könnte ich es sein, der sich dafür entschuldigt.«
Walther legte Thymmo seine Hand auf die schmale Schulter. Dabei sagte er: »Umso erfreulicher ist es, Euch unter diesen Umständen zu sehen.« Kaum merklich, blickte er kurz zu Thymmo. »Ich gratuliere Euch!«
Johann verstand, was der Spielmann meinte. »Habt Dank. Wie Ihr sicher nachempfinden könnt, bin ich überglücklich!« Dann wurde seine Stimme etwas leiser, sodass der Junge, der nun mit seiner Mutter sprach, sie nicht hören konnte. »Aber bedenkt, Ihr seid es, von dem Thymmo hören will, wie er sich heute gemacht hat.«
Zweifelsohne war das die Wahrheit. Und es wurde Zeit, dass Walther dem nachkam. Anstatt etwas zu erwidern, ging er einfach vor dem Jungen in die Knie und fuhr ihm über den blonden Schopf. »Du hast das wirklich sehr gut gemacht, Thymmo. Der echte Bischof kann noch etwas von dir lernen!«, lobte er ihn überschwänglich und tätschelte ihm die Wange.
»Das habe ich wohl gehört«, ertönte es hinter Walther, der schnell herumfuhr.
Es war Giselbert von Brunkhorst.
»Erzbischof …«, stammelte Walther unbeholfen. »Was ich meinte, war …«
Doch statt dem Spielmann zuzuhören, ging der Kirchenmann ebenfalls vor Thymmo in die Knie. »Dein Vater hat recht, Junge. Ich habe heute tatsächlich was von dir gelernt. Nämlich, dass auch die kleinsten Marianer schon einen sehr guten Kinderbischof abgeben können – wenn sie sich nur so anstrengen wie du. Heute hast du viele aus deiner Schule sehr stolz gemacht, mein Junge. Vergiss nie, dass du einer von ihnen bist.« Dann erhob der Kirchenmann sich wieder, nickte allen freundlich zu und verließ die kleine Runde, um zu den Kieler Grafen zu gehen.
In diesem Moment kamen Ava, Veyt, Ehler, Oda und Godeke hinzu. Sie alle beglückwünschten den kleinen Thymmo ebenfalls – alle, bis auf Ehler, dessen Gesicht nur Verachtung ausdrückte.
Mit jedem Wort des Lobes empfand der Schüler nur noch mehr Wut und Eifersucht auf den Jüngeren. Niemand lobte ihn, keiner erwähnte auch nur mit einem Wort seine Leistung bei den Aufführungen und dem Gesang. Er war Luft für sie.
Thymmo jedoch bemerkte den Argwohn des Älteren nicht. All die Aufmerksamkeit und die Anerkennung der Erwachsenen lenkten ihn zu sehr ab; dabei war er noch am Morgen sehr eingeschüchtert gewesen, ob der ehrenvollen Aufgabe, die ihn so unerwartet ereilt hatte. Nachdem Johann Schinkel aber eindringlich mit ihm gesprochen hatte, war sein Selbstvertrauen zurückgekehrt. Die Zusicherung des Ratsnotars, dass er seine Eltern stolz machen würde, wenn er seine Angst nicht zeigte, hatte genügt. Und wie sich nun herausstellte, hatte Johann Schinkel recht behalten. Langsam begann Thymmo, sein Amt als Kinderbischof sogar so sehr zu mögen, dass er die abendliche Vesper kaum mehr erwarten konnte.
Weder der Siebenjährige noch die anderen Hamburger vermochten in diesem Augenblick zu wissen, dass es zu diesem Abendgebet nicht mehr kommen würde.
»Ich will ja nicht drängen, aber sollten wir nicht langsam gehen?«, fragte Walther und rieb sich den Bauch.
Mit dieser Geste erinnerte er die Familie daran, dass ihre Mägde ein Festmahl bereitet hatten, zu dem sie sich alle in Avas Haus einfinden wollten.
Ava schlug die Hände zusammen. »Herrje, du hast recht. Ich habe vollkommen die Zeit vergessen. Lasst uns gehen.«
Jetzt erst merkten alle, was für einen Hunger sie hatten, so sehr hatten die Festlichkeiten sie abgelenkt.
Runa freute sich auf das Mahl, das bloß den Anfang einer längeren Zeit darstellte, in der sie täglich zusammen speisen würden. Nur ihre Kinder, das erkannte sie an deren Blicken, hätten wie immer gern noch länger draußen getobt. Drum fragte sie: »Freyja, Thymmo, wollt ihr mit Ehler vorauslaufen und Agnes Bescheid geben, dass wir jetzt kommen?«
»Nicht nötig«, ertönte es da plötzlich. Es war die Magd, die ihnen gerade mit einem Korb voller Gebäck entgegenkam. Lächelnd hob sie diesen nach oben und erklärte: »Ich hörte, dass es der Dame Margareta an diesem Morgen schlecht ergeht. Da wollte
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