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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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Grafen an diesem Tage regelrecht in den Hintergrund gedrängt wurde. Ein jeder schien froh darüber zu sein.
    Einzig Runa und Walther verharrten noch immer im Dom. Sie hatten keine Lust auf das Gedränge beim Hinausgehen und schätzten es, für kurze Zeit allein zu sein.
    »Deine aufmunternden Blicke haben scheinbar wahre Wunder bewirkt«, bemerkte Walther anerkennend. »Thymmo hat viel gelächelt. Sein Amt schien ihm richtig gefallen zu haben.«
    »Das habe ich auch bemerkt«, erwiderte Runa glücklich. »Überhaupt scheint er seine Aufgabe als Chorjunge und seine Zukunft als Domherr angenommen zu haben. Ich muss es zugeben, es war wohl die richtige Entscheidung, den Jungen hier in Hamburg zu lassen!«
    »Schön, dass du es heute auch so siehst«, sagte Walther und ergriff ihre Hand. Er küsste sie und ließ sie auch dann nicht los.
    Das Ehepaar schaute sich vielsagend an; sie beide genossen die Eintracht, die zwischen ihnen herrschte.
    Erst nachdem das Langhaus fast leer war, fragte Walther: »Wollen wir?«
    »Ja, lass uns gehen. Thymmo hält bestimmt schon nach uns Ausschau.« Runa hakte sich bei Walther unter.
    Gemächlich schritten sie nebeneinander hinaus in die blassgelbe Wintersonne. Es war etwas wärmer als am Morgen, dennoch erzeugte ihr Atem noch immer kleine weiße Wölkchen. Sie hatten kaum drei Schritte getan, da kamen ein paar zahnlose Mütterchen, schmutzige Kinder und Kranke herbei, um nach einer Gabe zu fragen.
    »Mein Herr, meine Dame«, lispelte einer der Bettler. »Gebt uns eine Spende, im Namen Jesu Christi.«
    Runa griff in die Falten ihres Rocks und holte ein paar klimpernde Münzen hervor. Mit einem Lächeln legte sie jedem Bedürftigen eine davon in die Hand – so, wie es üblich war. »Ein gesegnetes Fest«, sagte sie dazu.
    »Gott schütze Euch«, bekam sie von jedem als Antwort.
    Nachdem diese Christenpflicht getan war, gesellten sie sich zu Graf Johann II. und Gräfin Margarete, die Runa und Walther eben entdeckt hatten und sie nun herbeiwinkten, um Thymmos Leistung mit ein paar lobenden Worten zu erwähnen.
    »Spielmann«, sprach der Graf und legte Walther eine Hand auf die Schulter. »Einen so jungen Kinderbischof habe ich noch nie erleben dürfen. Ich sage Euch, wenn Eurem Sohn keine Laufbahn als Geistlicher vorbestimmt ist, dann geht es mit dem Teufel zu.«
    »Nicht doch«, schimpfte die gottesfürchtige Gräfin halbherzig über die Worte ihres Gemahls. »Seinen Namen heute zu nennen, ist nicht recht.«
    Johann II. kannte sein Weib. Niemals ließ sie sündhafte Reden auch nur im Ansatz durchgehen. Es waren die einzigen Situationen, in denen sie ihren Gemahl tadelte. Doch ihr Ärger war schnell verflogen. Schon lächelte sie wieder. An Runa gerichtet sagte sie: »Thymmo ist ein guter Junge. Sicher fehlt er Euch sehr, seit Ihr in Kiel weilt …« Nun trat sie einen Schritt näher an sie heran. »… aber unter uns Frauen gesprochen: Eine Mutter, die ihren Sohn in den Händen der Kirchenmänner weiß, kann sich glücklich schätzen. Wo andere Jungen älter werden und kämpfend in den Schlachten sterben, ist jenen Jungen zumeist ein langes und sorgenfreies Leben beschert. Ist es nicht so?«
    Runa presste die Lippen aufeinander und nickte. Das, was die Gräfin sagte, war die Wahrheit. Thymmo würde nie eine Klinge führen müssen, dafür aber Lesen und Schreiben und Singen lernen. Diese Tatsache hatte etwas Tröstliches! »Wie recht Ihr habt. Ich danke Euch für Eure Worte.«
    Nur einen Augenblick später fand das Gespräch über Thymmo ein jähes Ende. Die Anzahl der Menschen, die auf ein Wort mit dem Grafenpaar hofften, war groß, und Zurückhaltung nicht der Weg, der dorthin führte.
    »Mein Fürst, auf ein Wort«, ertönte es fordernd aus dem Munde eines der Domherren.
    Die Schauenburger, die bei solchen Anlässen stets versuchten, allen gerecht zu werden, nickten Runa und Walther freundlich zu und entließen sie somit aus der Unterhaltung. Dann wandten sie sich ab.
    Das Paar ging weiter durch die Menge. Hier und da tauschten sie einen Gruß aus – hier und da ignorierten sie einen! Noch immer gab es einige, die ihnen ihr Glück nicht gönnten. Jene Menschen ließen sie aber mit gutem Gewissen einfach stehen.
    Plötzlich kam Thymmo aus der Menge auf sie zugerannt.
    »Vater, Mutter!«, rief er aufgeregt und stürmte in Runas Arme, die den Jungen sofort herzte und küsste.
    Dicht hinter ihm folgte der Ratsnotar, der Walther respektvoll begrüßte. »Spielmann, seid gegrüßt. Wir

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