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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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gesegnetes Fest wünsche ich«, rief Runa ihnen zu und schritt dann hoch erhobenen Hauptes davon. Das Geläster der Weiber hätte sie heute nicht weniger interessieren können – im Gegenteil – es belustigte sie geradezu. Noch einige Schritte lang labte sie sich am Gedanken an das verbitterte Gesicht von Elizabeth Niger. Der Neid hatte so sehr in ihr geglüht, dass sie ganz rot geworden war. Runa hätte schwören können, dass sie gleich morgen zu Voltseco rennen und sich ihr Kleid nachschneidern lassen würde.
    Die Gruppe der Kaufmannsweiber lag schon einige Mannslängen hinter ihnen, da hörte Runa eine von ihnen rufen.
    »Dame Runa, wartet! Dame Runa … seid gegrüßt!«, ertönte es atemlos.
    Runa blieb stehen. Schon an der Stimme erkannte sie, um wen es sich handelte. Es war Alheid Salsnak, die sie schon den ganzen Morgen lang im Dom von Kopf bis Fuß beäugt hatte und die ihr gerade regelrecht nachgerannt kam. Anscheinend hatte die einstige Nachbarin, die eben noch im Kreis der tratschenden Weiber gestanden hatte, kurzerhand entschieden, dass es für sie doch eher von Vorteil war, sich mit Runa zu verbünden, als über sie zu lästern. Doch dieses Spiel würde sie wohl alleine spielen müssen.
    Bevor Runa sich umdrehte, rollte sie mit den Augen. Gerade noch konnte sie ein Aufstöhnen unterdrücken. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich mit diesem lästigen Weibsbild zu unterhalten, doch jetzt gab es kein Entkommen mehr. »Seid ebenso gegrüßt«, erwiderte sie mit einem absichtlich etwas überheblichen Kopfnicken.
    »Geht Ihr später auch zur Vesper?«
    »Ja, das haben wir vor.«
    »Und wisst Ihr denn auch schon, wo im Dom Ihr Euch hinzustellen gedenkt? Wieder dort, wo ihr des Morgens gestanden habt?«
    »Wie soll ich Eure Frage verstehen?«
    »Ach, meine Liebe«, sprach sie säuselnd. »Ich dachte, wir könnten vielleicht beisammen stehen und uns ein wenig unterhalten. Schließlich haben wir das nicht mehr getan, seitdem Ihr in Kiel wohnt, und auch jetzt, wo Ihr bei den Grafen auf dem Kunzenhof lebt, macht Ihr Euch rar. Drum wäre ein Schwätzchen doch vielleicht ganz angenehm, denkt Ihr nicht auch?«
    Runa schaute in das Antlitz der kriecherischen Bürgersfrau und bemerkte, wie ihr ein Schaudern den Rücken hochkroch. Es war nur allzu klar, woher ihr Wunsch rührte. Sie würde ihr ein für alle Mal zeigen, was sie von ihr hielt: »Verzeiht, aber ein Schwätzchen während der Vesper ist nicht in meinem christlichen Sinne. Und sehr wahrscheinlich werde ich sowieso im Gefolge des Grafenpaares stehen, wo ich meinen Sohn Thymmo am besten bei der Ausübung seines Amtes als Kinderbischof zu sehen vermag. Zu schade, dass nicht jeder zu diesem Bereich des Doms Zutritt hat. Nun entschuldigt mich, Dame Alheid, ich muss noch einmal zum Kunzenhof. Man erwartet mich dort, das versteht Ihr doch gewiss.« Runa senkte leicht den Kopf und ließ diese Heuchlerin damit wissen, dass sie nicht beliebte, weiter mit ihr zu sprechen. Was für ein boshaftes Vergnügen.
    Trotz eines sichtlich empörten Ausdrucks in ihrem Gesicht antwortete die Kaufmannsfrau: »Natürlich … ich verstehe … ein gesegnetes Fest wünsche ich Euch und den Fürsten.« Nach diesem letzten Gruß schritt sie beleidigt von dannen.
    Runa lachte in sich hinein. Daraufhin griff sie wieder nach Freyjas Hand, die sich während des kurzen Gesprächs davon befreit hatte, doch sie griff ins Leere. Das Mädchen stand nicht mehr neben ihr. Erschrocken blickte sie um sich. Schaute in alle Himmelsrichtungen. »Freyja?«, rief sie und drehte sich um sich selbst. Die Straße war gefüllt mit Kindern und Frauen, Bettlern und Kaufleuten. Runa schaute in jedes Gesicht, sah ihre Tochter jedoch nirgends. »Freyja, wo bist du? Antworte!«
    »Hier, Mutter!«, erklang es plötzlich hell aus einer Häusernische.
    Runa drehte den Kopf in Richtung der Stimme. Gerade noch sah sie, wie ein Mann sich hastigen Schrittes entfernte. Verwundert und verärgert zugleich fragte sie: »Wer war das? Was wollte er von dir? Du kannst doch nicht einfach gehen, wohin du willst!«
    Freyja senkte schuldbewusst den Blick. »Der Mann hat mir einen Apfel geschenkt«, sagte die Sechsjährige und hielt die glänzend rote Frucht nach oben.
    Runa atmete durch. Ihre Angst schien unberechtigt zu sein – heute, an einem heiligen Feiertag, waren alle Menschen freundlich und keiner führte Böses im Schilde. Sie zwang sich zu einem Lächeln und sagte: »Wie schön. Hat er dir seinen Namen

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