Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
vor sich. Runa sprang nach rechts und zerrte Freyja hinter sich her. Sofort zog sie das Kind nach unten in die Hocke und begrub es unter ihrem Oberkörper. Dann schoss der Ritter aus der Gasse. Über ihnen schlug die Schneide des Schwertes in das Holz des Fachwerkhauses.
Auf der Straße stoben die Leute ängstlich schreiend auseinander, um dem Ritter zu entkommen, der so plötzlich erschienen war. Dieser jedoch nahm keine Verfolgung auf. Stattdessen zügelte er sein Pferd grob, das erschrocken aufwieherte, und blickte zurück.
Runa schaute vom Boden hoch zum Sehschlitz des Topfhelms, Freyja noch immer fest im Arm. Aus einem nicht zu erklärenden Grund hatte sie das Gefühl, dass der Mann es auf sie beide abgesehen hatte. Warum? Gab es hier nicht unzählige Menschen? War es nicht gleich, wen er erschlug? Es blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken.
Der Ritter wendete sein Ross mit einer Hand, hob sein Schwert zum Angriff und trieb dem Rappen die Hacken in die Seiten. Sofort stieß der Hengst sich vom Boden ab.
Runa zerrte Freyja hoch. Bloß noch zwei Galoppsprünge war er von ihnen entfernt, da rannten sie direkt vor dem Pferd auf die gegenüberliegende Seite der Straße und durch einen Torbogen. Nur knapp entkamen sie den wirbelnden Hufen und der scharfen Klinge und gelangten auf einen Hinterhof, der von einer niedrigen Mauer umgeben war. Runa sah sich um. Sie erblickte eine weit geöffnete Hintertür. »Dort rein«, befahl sie Freyja.
Doch plötzlich kam der Ritter durch den Torbogen geprescht. Freyja und ihre Mutter schrien auf. Ohne zu überlegen riss Runa das Mädchen herum, zog es erbarmungslos weiter. Der Weg zum Haus war nun versperrt, so entschied die Mutter sich für die Mauer. Hier hob sie Freyja hinauf. Im letzten Moment schaffte auch sie es hinüberzuklettern, und als sie gerade ihre Hand von dem Gestein zog, fuhr auf genau diese Stelle die Klinge des Ritters nieder, sodass das Eisen leuchtende Funken hinterließ.
Erschrocken schrien sie beide auf und duckten sich, die Hände über den Köpfen und die Augen fest geschlossen. Gleich darauf rannten sie aber weiter, ohne zurückzublicken. Über den nächsten Hinterhof, der an jenen grenzte, den sie gerade überquert hatten, und durch den nächsten Torbogen wieder auf die Straße.
Hier stand ein Haus in Flammen, und die Luft darum war verraucht. Freyja hustete und heulte. Runa konnte sich nicht darum kümmern, hielt ihre Hand aber fest umfasst. Sie versuchte, sich zu orientieren, einen klaren Kopf zu bewahren und ihre Angst nicht übermächtig werden zu lassen, doch auch sie bekam schlecht Luft und in ihren Seiten machte sich ein stechender Schmerz bemerkbar.
Den Blick noch nach links gerichtet, entdeckte Runa plötzlich eine Schar Menschen auf sie und Freyja zurennen – schreiend, mit angsterfüllten Gesichtern und wild rudernden Armen. Zuerst konnte sie nicht erkennen, vor wem sie flüchteten. Dann aber tauchten aus dem Rauch hinter ihnen drei Ritter auf. Sie waren einfach überall. Wie heidnische Dämonen aus dunklen Wäldern sahen sie aus; ihre Gesichter unter den Helmen verborgen und die Schwerter erhoben, schienen sie eins mit ihren schnaubenden, riesigen Rössern zu sein, die unerbittlich näherkamen.
Erst ein dumpfes Geräusch ließ Runa einen Blick in den Hinterhof werfen, aus dem sie gekommen waren. Das genügte, um zu erkennen, dass ihr Verfolger sein Pferd gewendet und über die niedrige Mauer gesetzt hatte. Jetzt schoss er im wilden Galopp auf sie und Freyja zu. Schon wieder! Warum nur ließ er nicht endlich von ihnen ab?
Mutter und Tochter hatten keine Wahl mehr, was die Richtung anbelangte. »Los Freyja, weiter. Du musst laufen. Schnell!« Abermals riss Runa das erschöpfte, weinende Mädchen nach rechts Richtung Altstadt. Um sie herum rannten bereits die flüchtenden Frauen, Männer und Kinder. Dahinter kamen die Verfolger näher. Der Weg führte leicht bergauf, und die qualmerfüllte Luft in den schmalen Gassen war fast zu heiß und zu dick zum Atmen. So schnell sie konnten, rannten sie davon. Währenddessen schaute Runa angsterfüllt nach hinten.
Da sah sie, wie ihr Verfolger sich den anderen drei Rittern anschloss und ihnen ein Zeichen gab!
Runa erstarrte. Sie blieb einfach stehen, inmitten der panischen Masse. Von hier aus meinte sie durch den immer dichter werdenden Qualm zu sehen, wie die anderen Reiter Freyja und sie plötzlich anvisierten.
»Mutter!«, heulte Freyja auf und zog an ihrer Hand. »Komm. Wir müssen
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