Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Kraft des Hengstes dazu benötigt, einzelne Hütten abzureißen, die als Nächstes den Flammen zum Opfer fallen würden, um dem Feuer so die Nahrung zu nehmen. Immer wieder trieb Eccard den erschöpften und schwitzenden Kylion an, auf dass er alles gab, was noch in seinen Gliedern steckte.
Dann, die Mittagsstunde war schon lange vorbei, war es endlich geschafft. Die schlimmsten Brandherde hatte man gelöscht. Nur noch vereinzelt rauchte es hier und da, doch von diesen glimmenden Aschehäufchen ging keine Gefahr mehr aus.
Die Männer und Frauen Hamburgs fielen sich weinend in die Arme. Erst jetzt wurde ihnen klar, was eigentlich wirklich geschehen war. Überall lagen die toten Körper der Erschlagenen, überall hörte man die Schreie der Hinterbliebenen und Verletzten.
Eccard entfernte die Seile um Kylions Brust und Hals, die seine Haut blutig gescheuert hatten. Dann saß er auf und ritt durch die Stadt. Er begann jede Straße und jeden Winkel nach Margareta zu durchsuchen. Fragte jeden, der ihm noch ansprechbar schien, doch niemand hatte sie gesehen. Eine nie gekannte Angst überkam ihm. Jemand musste sie gesehen haben, wenn sie heute bei der morgendlichen Messe des Kinderbischofsspiels gewesen war. Doch je länger er in der zerstörten Stadt nach seiner Frau suchte, desto mehr verließ ihn der Mut. Irgendwann hatte es keinen Sinn mehr weiterzusuchen; er war überall gewesen. Margareta blieb verschwunden. Schon vor einiger Zeit hatte er es aufgegeben, ihren Namen zu rufen. Nun konnte er nur noch beten, dass es ihr gelungen war, sich rechtzeitig zu verstecken und ihr Versteck auch lebend wieder zu verlassen.
Niedergeschlagen hielt er Kylion an und rieb sich die Augen. Seine Verzweiflung drohte ihn gerade zu übermannen, als vollkommen unerwartet Godeke, Oda, Walther und Ava vor ihm auftauchten. Sie alle waren rußverschmiert und sichtlich verstört, aber ohne größere Verletzungen.
»Großer Gott!«, stieß Eccard aus und sprang so schnell von Kylion, wie es sein verletztes Bein zuließ. Er packte Walther bei den Schultern und fragte: »Hast du meine Frau gesehen?«
»Nein, Eccard. Aber wir sind auf dem Weg zum Kunzenhof. Wenn die Wachen ihn halten konnten, ist Margareta dort in Sicherheit. Sie hat ihn heute wegen Unpässlichkeit gar nicht erst verlassen.«
Der Ritter schloss erleichtert die Augen und schlug ein Kreuz. »Herr im Himmel, hab Erbarmen, lass sie dort sein!«
»Runa und Freyja sind fort.«
Erst in diesem Moment bemerkte Eccard, dass sie fehlten. »Was sagst du da?«
»Sie waren auf dem Weg zum Kunzenhof zu Margareta«, erklärte der Spielmann tonlos. »Wenn Gott gnädig war, haben sie es vor dem Angriff dorthin geschafft.«
»Dann lasst uns keine Zeit verlieren«, antwortete Eccard mit belegter Stimme. Er half Oda und Ava auf den Rücken seines Pferdes. Dann machten sie sich gemeinsam auf den Weg zum Grafen sitz.
Der bloße Gedanke daran, was geschehen sein konnte, wenn die drei es nicht geschafft hatten, ließ alle verstummen. So schnell sie konnten, eilten sie zum Jacobi-Kirchspiel, wo sie die Tore zum Kunzenhof weit geöffnet vorfanden. Wie von ihnen so sehr gehofft, hatten die Angreifer es nicht geschafft, ihn einzunehmen.
Viele Hamburger, die alles verloren hatten, suchten hier nun Schutz vor der drohenden Dunkelheit. Einige weinten bitterlich, andere, die ihre Lieben hier wiederfanden, schrien lauthals ihre Erleichterung hinaus. Dicht gedrängt standen die Leiber der Männer und Frauen, zwischen denen die Freunde versuchten, sich einen Weg zum Haupthaus zu bahnen. Immer wieder mussten sie Platz machen für Männer, die Verwundete trugen. Viele sahen schlimm aus: zerrissene Kleider, blutige Wunden, Knochenbrüche und Verbrennungen. Zwei Beginenschwestern wiesen die Helfer an, die Schwerverletzten in den Stall zu legen, wo sie sie versorgen konnten.
Die Freunde kamen nur langsam voran. Eine ganze Weile waren sie sogar dazu verdammt, gänzlich regungslos dazustehen, weil immer mehr Männer, Frauen und Kinder durch das Tor hineinströmten. Godeke, Walther und Eccard konnten kaum etwas sehen, doch Ava und Oda, die noch immer auf Kylion saßen, hielten ihre Blicke stets suchend in die Menge gerichtet.
»Siehst du Margareta? Oder Runa und Freyja?«, fragte Eccard seine Schwägerin Oda.
»Nein«, antwortete sie matt und zwang sich, weiterhin in jedes Gesicht zu schauen – auch in die der Verletzten. Wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht, ob sie traurig oder froh darüber sein sollte, die
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