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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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schon zigmal gegeben hatte, bestärkte sie Runa. Was auch immer ihr half, war Ragnhild recht! »Geh nur, mein Kind. Sprich dir deinen Kummer von der Seele. Vielleicht geht es dir später ja etwas besser.«
    Runa machte sich auf den Weg. Sie brauchte nicht weit zu laufen. Wenige Schritte nach Westen, die Gröningerstraße entlang, dann nach Süden die Grimm-Insel überquerend auf die Katharinenkirche zu. Hier trat sie ein und erblickte auch sofort den Pfarrvikar der Kirche.
    Er sah auf, als Runa eintrat und nickte wissend. Umgehend, jedoch in aller Ruhe, ging er auf einen großen Armlehnstuhl zu, der in dem Bereich hinter dem Altar stand.
    Runa schritt schnell auf den Geistlichen zu. Kaum hatte sie ihn erreicht, fiel sie auch schon auf die Knie. Die Worte, die ihr bereits in Fleisch und Blut übergegangen waren, schossen nur so aus ihr heraus. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen!«
    Darauf ertönte die ihr so bekannte Stimme des Pfarrvikars. «Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.»
    »Amen. Vergebt mir Vater, denn ich habe gesündigt.«
    »Welche Sünde lastet auf deiner Seele, mein Kind?«
    »Es … es geht wieder um meine verstorbene Tochter, Vater.«
    »So? Berichte mir, was deine Sünde ist. Dein Kind ist schon lange tot, und ich habe dir schon viele Bußen und Gebete aufgetragen, um deinen Zorn auf Gott zu sühnen. Bist du etwa eine unverbesserliche Sünderin und zürnst unserem Herrn noch immer?«
    Runa wusste erst nicht, was sie sagen sollte. Natürlich zürnte sie Gott noch immer! Wie könnten Gebete das auch je ändern? Doch gerade deshalb, weil keine Buße ihr je geholfen hatte, wollte sie ihr Herz auf andere Weise erleichtern. Immer in der Hoffnung, irgendwann tatsächlich Erlösung von ihren Höllenqualen zu erlangen. »Vater, das ist es nicht, was ich beichten möchte. Ich … meine Gedanken … mein Zorn gilt … meinem Gemahl Walther von Sandstedt.«
    »Warum bist du zornig auf ihn?«
    »Weil er mich und meine Tochter damals allein gelassen hat.«
    »Meinst du, am Tage des Überfalls?«
    »Ja, richtig, Vater.«
    »Wo war dein Gemahl damals?«
    »Er rettete ein paar Bewohner aus einem Armenstift, dessen Dach Feuer gefangen hatte.«
    »Und dieses Verhalten ist für dich nicht christlich?«
    »Doch … natürlich. Aber ich … er war nicht bei uns, um uns zu beschützen, wie ein Mann es tun sollte. Solch ein Verhalten ist doch unchristlich …«
    »Und nun empfindest du Wut auf deinen Gemahl und hältst dich für eine schlechte Christenfrau?«, schlussfolgerte der Pfarrvikar für ihn logisch.
    »Nein, schlimmer noch! Auch wenn es nur schwerlich vorstellbar ist – meine Gedanken sind sogar noch liederlicher. Sie sind so grausam, dass ich sie kaum aussprechen mag.«
    »Das wirst du aber müssen, damit ich dir eine gerechte Buße erteilen kann.«
    »Aber ich bin eine schlechte Frau mit noch viel schlechteren Gedanken. Gebt mir einfach eine harte Strafe; nicht bloß Gebete! Ich flehe Euch an!«
    »Nun erzähle erst einmal, was deine Gedanken sind.«
    Runa geriet ins Stocken. Natürlich war sie auch zornig auf Walther, doch sicher nicht, weil er Arme aus einem Armenstift gerettet hatte. Vielmehr war sie wütend darauf, dass Walther scheinbar besser mit dem schmerzlichen Verlust Freyjas klarkam als sie. Doch das konnte sie dem Pfarrvikar nicht sagen. »Wäre er uns sofort suchen gegangen, dann hätte er uns vielleicht beschützen können, und dann wäre mein Kind vielleicht noch am Leben. Doch so bleibt mir nichts anderes übrig, als zu glauben, die Flammen haben sie verschlungen. Oder sie ist ertrunken, als ich in das Fleet gefallen bin, und das Wasser hat sie hinfortgespült. Nur der Herr weiß, was geschehen ist, jedenfalls ist sie fort. Sie wurde mir für immer genommen, und mein Gemahl …«
    »Fragst du dich, was wäre, wenn deine Tochter an seiner statt überlebt hätte?«
    »Ja, manchmal …«, sagte Runa langsam. Dann aber schoss es aus ihr heraus: »Doch, Vater, bitte glaubt mir. Jene Gedanken erschrecken mich zutiefst. Ich bin eine schlechte Gemahlin. Bitte straft mich hart. Amen.«
    Der Pfarrvikar schwieg einen Moment. Dann sagte er in verändertem Ton: »Runa von Sandstedt, ich kann kaum noch zählen, wie oft du schon vor mir saßt und mir immer neue Sachen gebeichtet hast, damit ich dir auch ja eine harte Buße auferlege. Heute will ich es anders tun. Du bekommst keine Buße.«
    »Was? Aber warum

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