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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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liebe Schwester?«
    »Gar nichts!«, wiegelte sie sofort mit hartem Blick ab. »Ich brauche kein eigenes Haus, Godeke. Mir reicht, was ich habe«, gab sie zurück.
    Godeke presste die Lippen zusammen. Es war schwer geworden, mit Margareta zu sprechen. Die letzten Jahre hatten sie verändert. »Aber du willst doch nicht bis zum Ende deiner Tage zusammen mit Agnes in meinem Haus schuften und die Arbeiten einer Magd tun?«
    »Warum nicht? Was spricht dagegen? Hast du vor, mich rauszuwerfen?«, fragte sie in gewohnt barschem Ton. Wenn es um dieses Thema ging, war kein Herankommen an sie.
    »Aber nein, ich würde dich niemals rauswerfen. Das weißt du doch. Aber ich dachte …«
    »Ich werde jetzt wieder in die Küche gehen. Es ist noch einiges zu tun bis zum Schlafengehen.« Sie füllte die Becher noch einmal auf und verschwand.
    »Warum lässt du sie nicht einfach, Godeke? Immer wieder versuchst du es, und immer wieder scheiterst du. Sie wird nicht mehr heiraten. Und sie will auch nicht fort. Lass sie hier bei dir, bei Oda und bei Alma.«
    Walther hatte recht. Er sollte sie nicht weiter drängen. Und doch fiel es ihm auch heute noch schwer, sich an die neue Margareta zu gewöhnen. So fest war das Bild der schwer verliebten Rittersgemahlin, die sie einst gewesen war, in seinem Kopf. Nichts schien davon übrig zu sein.
    Walther trank seinen Becher leer und stellte ihn auf Godekes Schreibpult ab. »Der Tag war lang. Ich werde jetzt gehen, wenn du mich nicht mehr brauchst.«
    »Natürlich … geh nur. Deine Frau wartet sicher schon auf dich.«
    Walther hob noch die Hand. »Wir sehen uns morgen!« Als er sein Haus erreichte und seine Schlafkammer betrat, schlief Runa schon. Er sah sofort, dass sie wieder mal schlecht träumte. Und wie so oft schon davor fragte er sich, ob es das wirklich geben konnte. War es möglich, dass Träume eines Kindes auf die einer trauernden Mutter übertragen wurden?
    Sie hörte die Pferde kommen. Schnell näherten sie sich. Ihre Hufe donnerten laut auf dem harten Sandboden. Runa wollte den Weg verlassen, doch ihre Füße waren wie festgewachsen. Dann stoben sie im Galopp um die Ecke. Fünf, nein sechs große Schlachtrösser mit wehenden Mähnen und aufgeblähten Nüstern. Vornweg ein Schimmel – groß gewachsen und mit langen Haaren an den Beinen, die bis über die beschlagenen Hufe reichten. Das schrille Wiehern tat Runa in den Ohren weh. Sie musste hier weg, schnell! Anderenfalls würden die Pferde sie überrennen. Doch sie konnte sich einfach nicht bewegen. Wie wild begann sie mit den Armen zu rudern, in der Hoffnung, dass sie vielleicht doch anhielten oder um sie herumgaloppierten. Warum nur waren die Pferde so in Panik?
    Dann erkannte Runa die Gefahr. Hinter ihnen stieg ein gewaltiges Flammenmeer auf. Heiß und rot züngelte die Feuersbrunst bis in den Himmel. Die Schweifhaare der hinteren Pferde brannten bereits lichterloh.
    Und plötzlich, kurz bevor die Herde Runa erreichte, sah sie auf dem Schimmel jemanden sitzen. Freyja! Ihre Tochter! Sie ritt ohne Sattel und ohne Zaumzeug, hielt sich bloß an der Mähne fest. Ihr Gesicht zeigte keine Angst. Barfuß, bloß in einem dünnen Kleid und mit offenem Haar, ritt sie das weiße Ross. Runa wollte schreien, lauthals auf sich aufmerksam machen, auf dass Freyja sie bemerkte, doch auch ihr Mund wollte ihr nicht gehorchen. Die Herde teilte sich vor Runa und galoppierte tatsächlich an ihr vorbei. Freyja war für einen Moment lang so nah, dass die Mutter ihr Bein hätte berühren können, doch es ging zu schnell. Nur einen Wimpernschlag später war ihr kleines Mädchen fort. Zurück blieb bloß eine Wolke aufgewirbelten Sandes.
    Runa drehte sich wieder um und blickte auf die näherrollende Feuersbrunst. Sie wusste, sie würde jetzt sterben, und der Tod, der sie ereilte, war möglicherweise jener, den auch ihre Tochter einst hatte erleiden müssen. So empfing sie ihn ohne Wehklagen.
    In diesem Moment wachte sie auf – wie immer! Sie lag in ihrem Bett. Neben dem schlafenden Walther. Ihr Atem ging schnell und stoßweise, und ihr Herz schlug wie wild. Wieder einer dieser Träume! Sie fuhr sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn. Seit Jahren schon ereilten sie Bilder im Schlaf. Bilder von Freyja, Bilder von Pferden, die sie so geliebt hatte, doch vor allem Bilder vom Feuer. Mal waren diese Träume häufiger, mal waren sie selten. Niemals aber verließen sie sie ganz, und so schrecklich sie auch waren, Runa hätte nicht sagen können, ob sie

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