Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
in diesem Haus über Freyja zu sprechen. Ich weiß mir keinen anderen Rat mehr. Hoffentlich kommst du so zur Vernunft.« Mit diesen Worten ließ er sie einfach in der Kammer zurück.
Runa war sprachlos, fassungslos, leer. Sie sollte nicht mehr über Freyja sprechen? Wie sollte das gehen? In ihrem Kopf gab es doch fast nichts anderes als ihre Kinder. Dennoch, trotz der Wut auf Walther wusste sie, dass er auf eine Weise recht hatte. Ihr Leben war nun ein anderes. Alles hatte sich verändert seit dem Fehdeüberfall, das konnte selbst sie nicht leugnen.
Zum zweiten Mal fiel ihr Blick heute auf die verstaubte Laute. Seit dem Tage von Freyjas Verschwinden hatte niemand diesem Instrument mehr einen Laut entlockt. Noch ganz genau erinnerte sie sich daran, wie Walther vor das Grafenpaar getreten war. Er hatte sein Knie gebeugt und Johann II. und Margarete von Dänemark angefleht, ihn aus ihrem Dienst zu entlassen. Er konnte nicht mehr singen, sein Frohsinn war mit Freyja verschwunden. Und so waren die Grafen nach Kiel zurückgezogen – ohne sie, die sie selbst in Hamburg geblieben waren. Godekes Angebot war ihnen recht gekommen, doch im Gegensatz zu Walther, der sich mit seinem neuen Leben irgendwann angefreundet hatte, schien diese Erlösung Runa nicht vergönnt.
Ava war aufgeregt. Schon seit dem Morgen rannte sie hastig im Haus umher, wühlte hier, kramte da, jedoch ohne wirklich etwas zu schaffen. Ihre fünf Kinder liefen ihr nach wie eine Horde Küken und plapperten unentwegt auf sie ein.
»Mutter, ich will etwas essen.«
»Mutter, ich habe Durst.«
»Mutter, wo ist mein zweiter Schuh. Ich kann ihn nirgends finden.«
Immer wieder versuchte Ava die Fragen ihrer Kinder nebenbei zu beantworten und trotzdem nicht zu vergessen, was sie gerade machen wollte, doch jetzt reichte es ihr endgültig. Ruckartig kam sie zum Stehen. Die Kinder hinter ihr verstummten augenblicklich. Es dauerte lang, bis die Mutter die Geduld verlor, wenn es aber soweit war, war jedermann gut beraten, ihr aus dem Weg zu gehen.
»Hannah!«, schrie Ava plötzlich laut durchs Haus. Nur einen Moment später kam die Magd gemächlich die Treppe herunter.
»Ja, Herrin?«, fragte sie mit ihrem üblich mürrischen Blick, den Ava jedoch über die Jahre zu ignorieren gelernt hatte.
»Nimm die Kinder mit dir nach oben.«
Hannahs Gesicht verzog sich. »Aber ich habe gerade so viel zu tun. Kann nicht Marie …«
Ava zog die Augenbrauen hoch. Es war immer das Gleiche mit diesem Weib. Ständig musste man mit ihr diskutieren, was furchtbar anstrengend war. Doch Ava hatte einen guten Grund, sie zu behalten – leider! »Du tust besser, was ich sage, Hannah, sonst vergesse ich mich. Und zwar sofort! Marie hat etwas anderes zu tun, und ich habe keine Zeit für deine Widerworte. Also nimm jetzt die Kinder, und geh mir aus den Augen.«
Hannah knickste mit wütendem Blick und murmelte etwas, das sich anhörte wie: »… dann werde ich aber ganz sicher nicht fertig mit meiner Arbeit.«
Als die Magd mit den Kindern verschwunden war, atmete Ava erst einmal tief durch. Was für eine Wohltat für die Ohren! Diese Stille! Dann fuhr sie sich mit der Hand ans Kreuz und streckte den schmerzenden Rücken durch. Noch im selben Moment erschrak sie über diese Geste, war es doch die eindeutige Gebärde einer Schwangeren! Ava durchfuhr es wie ein Blitz. Kann das wirklich wahr sein? Schon wieder? Hastig versuchte sie sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal geblutet hatte. Es war aber schon zu lange her, um es genau zu bestimmen. Großer Gott, dachte sie. Das wäre dann, zusammen mit Veyt und Ehler, mein achtes Kind! Bestürzt schüttelte sie den Kopf. Seit sie mit Christian verheiratet war, hatte es nur wenige Monate gegeben, in denen sie nicht schwanger gewesen war.
Er hatte in der Hochzeitsnacht wahrlich nicht zu viel versprochen – tatsächlich war seine Gier nach ihrem Körper nahezu unersättlich. Auch wenn er Ava in jenen unzähligen Nächten auch schon unendlich viel Vergnügen bereitet hatte, war es ihr dennoch oft zu viel. Die Kinder, das große Haus und die zickige Hannah zerrten des Tages an ihr, sodass sie sich des Nachts oft wünschte, einfach nur schlafen zu dürfen. Trotzdem konnte sie sich glücklich schätzen, denn sie beide hatten in den Jahren ihrer Ehe gelernt, einander zu lieben und waren glücklich – da nahm Ava den häufigen Beischlaf gerne in Kauf. Es gab bloß eine einzige Zeit, in der Christian von ihr abließ, und das waren die letzten Wochen
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