Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
eine ganze Weile, bis das Durcheinander sich etwas gelegt hatte. Erst als das Pferd endlich eingefangen und beruhigt worden war, konnten die eigentlichen Aufräumarbeiten beginnen. Ein weiterer Wagen musste herangeschafft und die Balken erneut verladen werden. Mittlerweile stauten sich die jüngst angekommenen Schiffe bis zur Schleife des Nikolaifleets. Alle Anleger am Hafen und alle an den Grundstücken des Nikolai-Kirchspiels waren bereits belegt. So gut wie jedes Schiff benötigte zum Entladen den Kran, was derzeit aber unmöglich war. Nur jene paar Schiffe, welche bloß Tuche, Wolle oder ähnlich leichte Ware geladen hatten, konnten durch Schuten gelöscht werden.
Der Tag war lang und anstrengend gewesen, und erst als auch der letzte Balken, der bei dem Unglück über den Hafen gerollt war, auf einem Pferdewagen lag, konnte auch der Aufseher den Heimweg antreten. Er war vom Regen nass bis auf die Knochen, und sein Knie schmerzte höllisch, seit er es sich angeschlagen hatte.
»Darf ich Euch vielleicht bis zur Grimm-Insel mitnehmen? Das Haus des Dominus Godeke liegt ja auf Eurem Weg«, ertönte es plötzlich hinter ihm.
Es war der Wagenführer des letzten beladenen Pferdewagens. Er lächelte freundlich aber mindestens ebenso erschöpft wie der Aufseher.
»Ja, das dürft Ihr. Ehrlich gesagt fahre ich sehr gerne mit«, gestand der Mann mit kraftloser Stimme und kletterte auf den Bock.
Schweigend bogen sie nach rechts, ließen den Hafen hinter sich und fuhren über die Zollenbrücke. Dann bogen sie in die Güningerstraße ein, wo sich Godekes Haus befand. Kaum hatten sie angehalten, kam dieser auch schon heraus und sprach Walther an.
»Mein Freund, du bist wohlauf! Ich habe gehört, was heute am Hafen los war. Komm nur herein, und trinke einen Schluck auf den Schrecken mit mir.« Dann richtete er das Wort an den Wagenführer. »Sieh zu, dass das letzte Holz verstaut wird, bevor die Dunkelheit anbricht. Im Lager ist kein Platz mehr. Bring es auf den Hof.«
»Ja, Herr«, antwortete der Mann und machte sich sogleich an die Arbeit.
Walther stieg vom Bock. Er fühlte sich mit seinen dreiundvierzig Jahren plötzlich doppelt so alt, wie er eigentlich war, so müde war er.
»Was ist mit deinem Bein?«, fragte Godeke verwundert und schaute an seinem Freund herab.
»Ach, frag nicht!«, brummte der vor sich hin und humpelte ins Haus. Im Kontor angelangt, ließ er sich ganz ungeniert auf Godekes Sessel fallen.
Dieser ließ ihn gerne gewähren. Offensichtlich war sein Freund und Schwager verletzt. Und außerdem fehlte es dem dreizehn Jahre Älteren sonst nie an Respekt ihm gegenüber – obwohl es sicher nicht immer einfach für ihn gewesen war, dass sich sein Leben und seine Stellung so sehr verändert hatten. »Das war gute Arbeit heute, Walther! Nachdem ich hörte, was passiert war, hätte ich nie für möglich gehalten, dass ihr es schafft, das erste Schiff noch heute komplett zu löschen. Nun müssen wir morgen bloß noch das zweite meiner Schiffe entladen, richtig?«
»Ja, und wenn das Wetter morgen besser ist, könnte ich es in einem halben Tag schaffen. Allerdings ist fraglich, ob wir morgen schon drankommen. Im Hafen drängen sich die Schiffe an der Kaimauer wie die Weiber am Markttag um einen Tuchestand.«
Godeke lachte über den treffenden Vergleich und lehnte sich trotz allem zufrieden zurück. »So viel Holz haben wir noch nie auf einmal bekommen. Meine Lagerräume sind bis unters Dach gefüllt – genau wie meine Auftragsbücher. Dieses Jahr wird ein gutes Jahr, das fühle ich!«, sagte Godeke mit geballter Faust zu dem einstigen Spielmann.
Dann ging die Tür auf. Margareta kam herein. Sie trug einen Krug mit Wein und zwei Becher. »Walther, geht es dir gut? Ich habe gehört, was passiert ist. Ein schrecklicher Unfall …« Während sie redete, reichte sie den Männern die gefüllten Becher.
»Mir geht es gut, sorge dich nicht«, versicherte er seiner Schwägerin, ohne sein schmerzendes Bein zu erwähnen.
Godeke schaute seinen Freund schief lächelnd an. Er wusste, warum er über seine Verletzung schwieg. Margareta hätte ihn sicher von Kopf bis Fuß in Salben und Tinkturen getaucht und anschließend mit Leinen umwickelt. Drum schwieg auch er sich darüber aus und sagte stattdessen: »Wir reden gerade über den Handel. Wenn alle meine Geschäfte aufgehen, die geplant sind, dann werden wir eine Menge Geld verdienen, und dann werde ich dir ein eigenes Häuschen kaufen können. Was hältst du davon,
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