Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
einer Schwangerschaft. Für genau diesen Zweck hatte sie Hannah im Haus behalten!
Ava hatte schon in der Hochzeitsnacht mitbekommen, dass die beiden vor ihrer Ehe eine Liebschaft gehabt hatten. Doch anstatt sich darüber zu beschweren und die Magd hinauszujagen, hatte sie sich diese Tatsache eines Tages zum Vorteil gemacht – zu Christians unendlichem Erstaunen! Ohne Gram ließ sie ihn wissen, dass er sich mit Hannah vergnügen konnte, sobald ihre Schwangerschaft für das andauernde Liebesspiel zu weit fortgeschritten war. Die einzigen Bedingungen, die sie stellte, waren, dass sie es niemals im Ehebett tun durften, dass niemand je davon erfuhr und dass Hannah niemals irgendwelche Rechte über die ihres Standes hinweg erhielt. Sie war bloß eine Magd und bloß eine Gespielin und sollte dies auch für immer bleiben. Ava hingegen war und blieb unangefochtene Hausherrin, Gemahlin und Domina. Christian versprach seiner Frau, ihre Wünsche stets zu beherzigen, und hatte sein Wort bis heute nicht gebrochen. Hannah jedoch musste von Zeit zu Zeit an ihren Platz in der gottgewollten Ordnung erinnert werden.
Ava nahm ihre Hand von ihrem Rücken. Die Kreuzschmerzen waren noch immer da, doch sie versuchte nicht mehr darauf zu achten und so auch den Gedanken an eine mögliche Schwangerschaft von sich zu schieben – wenigstens für den Moment. Heute war nicht die Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, heute sollte nämlich ein großer Tag für ihren Ältesten sein.
Ehler war nun zwanzig Jahre alt, und sie hatte wahrlich Grund, stolz auf ihn zu sein. Ihr kam es zwar vor, als wäre er gestern noch ein kleiner Junge gewesen und ganz plötzlich zum Mann, zum Domherrn und zur rechten Hand des Scholastikus’ Johannes von Hamme geworden, doch das stimmte so natürlich nicht. In Wahrheit waren Jahre vergangen, und in Wahrheit hatte ihn sein ungezügelter Ehrgeiz dorthin gebracht, wo er heute war.
Eigentlich hätte der Scholastikus heute die Messe halten sollen, doch eine plötzliche Reise, deren Dringlichkeit ihn unabdingbar machte, hielt ihn davon ab. Stattdessen sollte Ehler zum ersten Mal seit seiner Priesterweihe, die er vor einem Jahr vom Erzbischof erhalten hatte, vor den Parochianten im Mariendom predigen. Es bestand kein Zweifel daran, dass Johannes von Hamme ein gutes Wort für seinen einstigen Schüler eingelegt hatte – schließlich gab es unter den Domherren und den vier Hamburger Pfarrvikaren andere Herren, die weitaus erfahrener und mit Sicherheit sogar geeigneter gewesen wären als Ehler. Dennoch hatten sie wohl zugestimmt – wie auch immer der Magister Scholarum das geschafft hatte!
Ja, Ava war stolz auf ihren Ältesten, wenngleich sie nicht alle Veränderungen an seinem ehrgeizigen Wesen schätzte.
Während sie ihren Gedanken nachhing, ging sie in die Küche, wo der duftende Laib Brot, gespickt mit Rosinen und nur abgedeckt durch ein Leinentuch, auf dem Tisch stand und gar allzu köstlich aussah. In aller Frühe hatte Ava ihn gebacken. Er sollte für Ehler sein – obwohl sie wusste, dass er überschwängliche Anfälle von mütterlichem Getue nicht mochte. Doch heute war ein besonderer Tag, und auch wenn es schwer war, ihren Sohn zu beschenken, wollte sie es dennoch versuchen.
»Hier steckst du also, schönste aller Gemahlinnen im Lande!«, begrüßte Christian sie schmeichelhaft wie eh und je. Er sparte nie mit Komplimenten seiner Frau gegenüber, auch nicht nach acht Ehejahren und fünf gemeinsamen Kindern, die sichtlich an Avas Äußerem gezerrt hatten. Sie war deutlich runder geworden, ihre Hände hatten Schwielen, und ihr Blick war manchmal ernst. Doch das dunkle Haar war noch immer voll und die blasse Haut noch immer ebenmäßig.
»Christian, wo bist du gewesen? Die Messe beginnt gleich.«
Der Ratsherr hauchte seiner Frau einen Kuss auf die Wange und blickte dann sofort zu dem Brot auf dem Tisch. »Hmm, was haben wir denn hier Leckeres …«
Ava schlug ihm sofort auf die ausgestreckten Finger. »Nichts für dich, mein Liebster! Das ist für Ehler. Er bekommt ihn nach der Messe.«
»Für Ehler?«, fragte Christian verwundert. »Willst du dich damit bewerfen lassen? Ich wüsste deine Backkünste sicherlich mehr zu schätzen«, fügte er lächelnd hinzu.
Ava musste gegen ihren Willen grinsen. »Deine Worte sind zwecklos. Das Brot ist für Ehler. Selbst ein Domherr muss etwas essen; das wird auch er nicht abstreiten können. Und nun zieh dich um. Du willst ja wohl nicht so zur Messe in den Dom gehen,
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