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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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hierzubleiben.«
    Ava ließ sich mitziehen. Vor dem Portal brach sie das Brot und verteilte es an die Bettler. Danach ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
    Ihr Gemahl zog sie an sich und scherte sich nicht um die neugierigen Blicke, die ihnen wegen der ungebührlichen Umarmung zugeworfen wurden.

2
    Der nasskalte Februar war einem milden März gewichen, welcher zum Ende hin immer sonniger wurde. Nun kündigte sich langsam der Frühling an. Die ersten Pflanzen schoben ihre grünen Spitzen durch Erde und Laub. Mensch und Tier lebten auf.
    Tybbe freute sich schon seit Tagen darauf, endlich in den Obst- und Gemüsegarten zu gehen. Sie wollte auf den Knien in den Beeten herumkrabbeln, das trockene Laub vom Vorjahr aufsammeln, dort wo die Pflanzen Schaden durch den Frost genommen hatten, kleine Äste abschneiden und dann alles gemächlich wachsen und gedeihen sehen. Der lange Winter hatte sie eine Ewigkeit ans Innere der feuchtkalten Gemäuer gefesselt. Doch das war endlich vorüber, nichts konnte sie mehr aufhalten. All ihre Pflichten hatte sie heute rasch erledigt, sodass sie nun selbst über ihre Zeit bestimmen konnte. Jetzt wollte sie nur noch eines: hinaus!
    Als sie in den Garten trat, ließ sie den Blick über die wenigen Bäume und die ordentlich angelegten aber vernachlässigten Beete schweifen. Kurz haftete ihre Aufmerksamkeit an der kürzlich an einer Stelle eingestürzten und behelfsmäßig mit hölzernen Palisaden wiederhergestellten Klostermauer. Dann erblickte sie zwei Eichhörnchen, die von Ast zu Ast hüpften, und eine der unzähligen Katzen, welche die Mäuse fernhielten. Die Getigerte musste gerade von irgendwoher aus einem schützenden Haufen Stroh gekrochen sein, der ihr über die Nacht als Schlafstatt gedient hatte, denn sie war noch über und über mit gelben Halmen bedeckt. Gemächlich suchte sie sich einen Platz im warmen Sonnenlicht, wo sie sich zufrieden räkelte und begann, sich zu putzen. Tybbe lächelte. Sie liebte Tiere und die Natur, und gerade fand sie sich umgeben von beidem. Überall zwitscherten Vögel, die Luft roch nach allem – nur nicht mehr nach Winter!
    Lächelnd streckte sie ihr Gesicht der Sonne entgegen. Was für ein schöner Tag, dachte sie noch, als geschah, was immer geschah, sobald sie sich, auch nur scheinbar, dem Müßiggang hingab.
    »Tybbe!«
    Das Gesicht noch Richtung Garten gewandt, rollte sie mit den Augen. Das Lächeln auf ihren Lippen verschwand.
    »Ja, Mutter Heseke?«
    »Ist es ein Trugbild, oder sehe ich dich hier tatsächlich einfach so im Garten herumstehen?«
    Tybbe drehte sich um. Das tat sie immer. Ständig stellte sie ihr diese dummen Fragen ohne Sinn, wenn sie ihr eigentlich sagen wollte, dass ihr Verhalten ihr missfiel. »Ich weiß nicht recht, was ich auf Eure Frage sagen soll, Mutter.«
    »Werde jetzt ja nicht frech. Du weißt ganz genau, was ich meine. Was machst du hier?«
    »Ich wollte Schwester Sibilla im Klostergarten zur Hand gehen. Sie hat noch nicht geschafft, das Laub zu …«
    »Ha! Das gibt es nicht! Du maßt dir an, eine Schwester zu tadeln, die das Gelübde schon abgelegt hat und somit über dir steht?«
    »Nein, das wollte ich nicht damit sagen. Ich liebe die Arbeit im Garten und …«
    »Jetzt gibst du auch noch Widerworte?«
    »Nein, meine Pflichten sind alle erledigt und …«
    »Schon wieder!«
    »Aber ich …«
    »Still jetzt!«, donnerte Heseke und funkelte ihre Chorschülerin wütend an. »Deine Lehrmutter zu sein ist die undankbarste aller Aufgaben hier. Jede Magd und jede Leyschwester im Kloster hat es leichter als ich. Warum kannst du nicht fügsam sein, wie die anderen Mädchen?«
    Nun sagte Tybbe nichts mehr, denn jedes ihrer Worte würde es nur noch schlimmer machen. Die Ungerechtigkeit aber ließ Wut in ihr aufsteigen.
    »Wenn du zwischen den Stundengebeten zu viel freie Zeit hast, dann besinne dich gefälligst auf die Regeln des heiligen Benedikt. Was sage ich dir immer?«
    »Ora et labora !«
    »Und unter was fällt dein Herumstehen im Garten?«
    Tybbe verzog keine Miene. Sie wusste, was Mutter Heseke hören wollte. Wie immer sollte sie zugeben, wider die Klosterregeln gehandelt zu haben, doch Tybbe war sich keiner Schuld bewusst. Mit ernstem Gesicht und wenig unterwürfiger Stimme fragte sie: » Labora ?«
    »Was hast du gesagt?«, rief die Lehrmutter fassungslos über die Dreistigkeit der Schülerin.
    Nun gab es für das Mädchen nichts mehr zu verlieren. »Ich wollte arbeiten! Als Ihr kamt, habe ich bloß einen

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