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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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richtig war, zu Ehler zu gehen.
    Dennoch, trotz aller stummen Kämpfe, die sie mit sich ausfocht, pochte sie wenig später energisch an das Türholz der Kurie und bat um Einlass. Kurz darauf stand sie auch schon in der kleinen Kammer, wo zwei Beginen Ehlers Wunden mit geschickten Händen versorgten. Eine von ihnen war Kethe, die alte Freundin Ragnhilds, die ihr ein Nicken schenkte, sich dann aber wieder der Arbeit widmete.
    Der Anblick seines Rückens hatte die Mutter im ersten Moment erschrocken zusammenfahren lassen. Es war ihr einfach unmöglich zu glauben, dass er sich diese schrecklichen Verletzungen selbst zugefügt hatte.
    Nachdem die Beginen gegangen waren, trat Ava an sein Bett. Regungslos lag er da. »Ehler?«, begann sie vorsichtig. »Ehler, kannst du mich hören?«
    Es kam keine Reaktion.
    »Ich weiß, dass du wach bist. Ich habe dein Stöhnen gehört, als die Beginen dich versorgt haben.« Trotz dieser Worte reagierte er nicht, nur sein Atmen wurde schneller und lauter. »Willst du denn gar nicht mit mir sprechen?«
    Endlich wandte er ihr das Gesicht zu, welches bislang Richtung Wand gelegen hatte. »Nein, ich will nicht mit dir sprechen«, stieß er krächzend und dennoch energisch aus. »Geh, und komm nicht wieder.«
    Ava war einen Moment lang wie vor den Kopf gestoßen. »Was redest du da? Warum soll ich nicht wiederkommen?«
    In Ehler kroch wieder jene Wut hoch, die er in den letzten Jahren so häufig in sich spürte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte Ava aus der Kammer gestoßen. »Ich will dich nicht sehen. Verschwinde einfach.«
    Ava begann zu schluchzen. Doch sie konnte ein Aufheulen gerade noch verhindern. Mit zitternder Unterlippe fragte sie: »Was habe ich dir getan, dass du mich so hasst?«
    Der Verletzte atmete hörbar laut aus. Noch immer klangen die heimlich belauschten Worte in seinen Ohren. Er konnte nicht vergessen, wie er erfahren hatte, dass Christian Godonis das Amt als Schulmeister der Nikolaischule anstrebte, und wie alle ihm zugesprochen hatten. »Das fragst du noch?«
    Ava kam auf ihn zu, wollte ihn berühren, doch er wich zurück.
    »Fass mich nicht mit deinen sündigen Fingern an«, stieß er hervor, als ginge es um glühende Zangen. Für ihn fühlte es sich an, als hätte seine eigene Mutter ihn hintergangen; und nun stand sie hier und tat so, als sorgte sie sich um ihn. Dieses Weib war ebenso liederlich und verführbar, wie alle Weiber es seit Evas Sündenfall waren. Er fühlte ihr gegenüber nichts mehr! »Ich sage es dir zum letzten Male, Weib. Verlass sofort diese Kammer, und kehre nicht mehr zurück. Ich bin nicht länger dein Sohn!«
    Ava wich vor Ehlers hasserfülltem Gesichtsausdruck zurück. Ihre ohnehin schon weiße Haut wurde noch bleicher, ihre Augen weiteten sich. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch es kam kein Ton zwischen ihren Lippen hervor.
    Plötzlich erhob sich Ehler von seiner Bettstatt. Mit einem Gesicht, das gleichermaßen Schmerz und Wut ausdrückte, stellte er sich auf seine nackten Füße. Das Laken, unter dem er zur Hälfte gelegen hatte, fiel zu Boden. Nackt wie er war, schritt er auf Ava zu. »Ich habe gesagt, du sollst verschwinden, Weib. Hinfort mit dir!« Ehler hob die Arme, die Hände zu Krallen geformt kam er näher. Auf seinem Rücken färbten sich die eben noch rosafarbenden Linien blutrot.
    Ava brauchte keine weiteren Beweise mehr. Ehler hasste sie aus tiefster Seele, und er würde ihr ein Leid zufügen, wenn sie jetzt nicht verschwand. Im letzten Moment ergriff sie die Flucht, rannte aus der Kammer und aus der Kurie. Stets das Bild ihres Sohnes vor Augen, wie er eben noch vor ihr gestanden hatte. Ava rannte und rannte. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Sie sah weder die bekannten Gesichter auf den Straßen, noch hörte sie die Grußworte, die man ihr zurief. Erst als sie die Katharinenkirche erblickte, verlangsamte sie ihren Schritt. Noch immer flossen die Tränen. Bloß verschwommen nahm sie den Gottesacker wahr, der an die Kirche anschloss. Hier kannte sie den Weg so genau, dass sie nicht suchen musste – auch wenn es bereits einige Zeit her war, seit sie das letzte Mal hier gebetet hatte.
    Thiderichs Grabmal war verwittert. Die einst so teure Steinplatte, die Ava damals hatte anfertigen lassen, war an der Wetterseite mittlerweile grünlich verfärbt. Laub bedeckte den Stein, und Sand hatte sich in den Rillen um die Reliefs gesammelt. Eine Ewigkeit musste sich keiner mehr um diesen Platz gekümmert haben. Mal

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