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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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haben ihren Grund und Boden dafür gegeben, da sie selbst keine Nachkommen hatten. Es gibt einen Markt, eine Kirche, eine Mauer mit einem Stadtgraben dahinter, und ja, es gibt auch viele Menschen und viele Häuser dort.«
    »Und ist es … ein … unchristlicher, schlechter Ort?«
    »Was meinst du?«
    »Leben dort viele Sünder?«
    Jetzt musste Bentz lachen. »Es kommt wohl darauf an, was man selbst für eine Sünde hält.«
    Tybbe richtete sich auf und klopfte sich die Erde von den Händen. »Was eine Sünde ist, bestimmt nicht der Mensch, sondern Gott.«
    Nun lehnte sich Bentz mit den Armen auf die Mauer und blickte schmunzelnd auf Tybbe herab. »Ich glaube, deine Vorstellung von den Menschen außerhalb der Klostermauern ist etwas … unwirklich. Nicht alle, die keine Chorschwestern oder Pröbste sind, sind Sünder.«
    »Das habe ich auch gar nicht sagen wollen«, antwortete Tybbe geknickt darüber, dass es so offensichtlich war, wie wenig sie von da draußen wusste.
    »Ich verurteile dich auch gar nicht. Sicher bist du ein reiches Mädchen, das ihr halbes Leben auf einer schützenden Burg verbracht hat und die andere Hälfte im Kloster. Irgendwann wirst du entweder einen Edelmann heiraten oder das Gelübde ablegen. Doch egal was geschieht, du wirst niemals frieren, niemals Hunger leiden, aber auch niemals wissen, was es heißt, in einer dunklen Schenke ein Bier zu trinken und zur lauten Musik einer Flöte und den Schlägen einer Trommel wild auf den Tischen zu tanzen.«
    Nun wurde Tybbe wütend. »Ich kenne sehr wohl Musik. Und außerdem: Was weißt du schon von dem Leben auf einer Burg oder dem in einem Kloster?«
    »Nicht viel. Doch ich habe dich die letzten Tage beobachten können.«
    »Und jetzt meinst du mich zu kennen?«
    »Natürlich nicht voll und ganz, aber gibt es über dich denn noch so viel mehr zu erfahren, als das, was ich gesehen habe?«
    In diesem Moment erschollen die Rufe einer allzu bekannten Stimme. Es war Mutter Heseke, die ihre Chorschülerin rief. Sie schien wahrlich den Verlauf der Sonne zu studieren, um Tybbe auch ja keinen Moment länger im Garten zu lassen, als es zulässig war.
    Bevor sie sich umwandte, um den Rufen entgegenzulaufen, sagte sie zu Bentz: »Da du ja schon zusammengefasst hast, wie mein Leben bisher aussah und wie es einst sein wird, brauche ich dir die letzte Frage ja nicht zu beantworten, richtig?«
    »Tybbe!«, ertönte es jetzt noch lauter.
    »Ist das dein Name?«, fragte Bentz sichtlich erstaunt.
    »Ich muss jetzt gehen.«
    An diesem Abend lag Tybbe noch lange wach. Die Worte von Bentz hallten ihr durch den Kopf. Bisher hatte sie die Gründe ihres Daseins im Kloster niemals hinterfragt. Warum auch? Schließlich hatte sie sich immer als begünstigt betrachtet und zu schätzen gewusst, hierhergeschickt worden zu sein. Auch von Seiten des Klosters war ihr in der Vergangenheit immer und immer wieder gesagt worden, dass sie mit der Aufnahme eine Möglichkeit bekam, die viele Frauen gerne hätten.
    Und doch kamen ihre Gedanken nicht mehr zur Ruhe. War es so, wie er sagte? War der Rest ihres Lebens tatsächlich schon vorbestimmt? Wenn sie im Kloster blieb, wie viele Jahre würden dann noch mit Gebeten und Gartenarbeit gefüllt werden und vor allem: Würde es sie immer so erfüllen wie heute? Gerade schien es ihr unmöglich, diese Frage zu beantworten, deshalb rollte sie sich vom Rücken auf die Seite, um endlich schlafen zu können. Doch Bentz ließ sie nicht mehr los.
    »Was erwartest du, Ava? Dass er dich mit offenen Armen empfängt? Ich bleibe bei meiner Meinung. Lass ihn in Ruhe und bleibe hier.«
    »Aber er ist mein Sohn!«, hielt Ava dagegen. »Ganz gleich, wie sehr er sich verändert hat. Er ist verwundet, und ich werde nach ihm sehen.«
    »Bitte! Dann tue, was du nicht lassen kannst. Ich werde nicht mit dir kommen. Es war ein Fehler, dir überhaupt davon zu erzählen, dass dein verrückter Sohn sich den Rücken zerschlagen hat.«
    Ava stand wutentbrannt auf und verließ die gemeinsame Kammer. Noch während sie die Stiegen hinablief, band sie sich die Haube. Dann war sie auch schon auf dem Weg zur Kurie von Johannes von Hamme. Sie war aufgewühlt. Seitdem Christian ihr von dem Vorfall erzählt hatte, den er selbst bloß durch Zufall aufgeschnappt hatte, war sie unsicher darüber, was sie tun sollte. Und auch jetzt handelte sie bloß aus einem inneren Gefühl heraus. Aber wenn sie ganz ehrlich zu sich war, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen, ob es tatsächlich

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