Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
falsch verhalten hatte, doch das konnte sie ja getrost auf ihre Schwangerschaft schieben, wo in der Regel alle Frauen leichter reizbar waren. Christian würde ihr verzeihen, wie er es immer tat – jedenfalls, was ihre Vorwürfe im Hinblick auf Hannah betraf. Zu ihrem Glück wusste er nicht, wohin ihr Weg sie gleich noch führen würde.
Zunächst aber galt ihr Blick den angebotenen Waren. Sie verlangsamte ihren Schritt und ließ sich willig von den Händlern der Stände in Gespräche verwickeln. Der erste bot Filzhüte, der nächste duftende Gewürze in allerlei Farben an. Ava roch an einigen, hielt den schmeichelnden Worten des Händlers aber stand und ging ohne zu kaufen weiter.
In der Mitte des Marktplatzes machte ein lustiges Gauklerpaar grobe Späße auf ihrem reich verzierten Wagen. Ava ließ sich nicht in ihren Bann ziehen und schritt bedächtig durch die dicht gedrängte Menge. Vorbei an einer alten Frau mit ein paar Körben vor sich, in denen faltiges und wenig frisches Gemüse lag, und einem Mann, der Felle verkaufte. Sein Bart war so dicht, dass dieser selbst fast aussah wie ein Tierfell, und es war nicht auszumachen, wem oder was der beißende Geruch entströmte, der ihr hier in die Nase stieg. Bei diesem Gedanken wandte sich Ava mit verzerrter Miene ab. Ihr Blick fiel auf eine Frau, die zahlreiches Federvieh in hölzernen Käfigen anbot, und die gerade mit dem Marktvogt in Streit geriet. Offenbar hatte sie nicht bezahlt, denn der Mann forderte sie auf, den Platz zu verlassen. Wie es aussah, dachte die Frau aber nicht daran, seinen Anweisungen Folge zu leisten und zeterte lautstark weiter.
Ava ließ sich auch hier nicht länger fesseln, denn sie suchte noch immer nach einem Stand mit Stoffen, wo es Tuche für ein schönes, weites Kleid zu kaufen gab, welches sie bald wieder brauchen würde. Selbst das größte in ihrem Besitz war bei der letzten Schwangerschaft schon recht eng gewesen.
So passierte sie achtlos Schrangen mit allerlei Fleisch und Backwaren und Stände mit Schmuck, Metall- und Handarbeiten, bis sie endlich an einen Stand mit dem Gewünschten kam.
Hier hielt sie lächelnd inne und berührte bedächtig die ausliegenden Tuche. Diese eindeutige Geste ließ den Händler regelrecht um seinen Stand zu seiner Kundin fliegen.
»Edle Dame, was kann ich für Euch tun?«, fragte er und verbeugte sich übertrieben tief.
»Hmm …«, gab Ava versonnen von sich, die äußerst geschickt im Handeln war. Sie hatte auf den ersten Blick gesehen, dass der Mann genau das anbot, was sie gerne hätte, doch das durfte sie ihm nicht gleich zeigen. »Ich möchte etwas besonders Schönes haben. Stoff für ein Kleid, welches meiner Augenfarbe schmeichelt. Aber zu einem guten Preis.«
»Aber, aber! Ich bitte Euch, werte Frau. Bei mir gibt es nur schöne Sachen und nur gute Preise. Ich bin ein Christ, der das Gebot der Nächstenliebe pflegt, und Gewinn kann mir niemals so viel Zufriedenheit schenken, wie der Gedanke, eine solch holde Jungfrau wie Euch glücklich gemacht zu haben!«
Ava musste schmunzeln, denn sie war genauso sehr eine Jungfrau wie er ein Mann, der nur die Nächstenliebe im Sinn hatte. Doch sie behielt ihren überlegenen Ton bei. »Zeig mir zuerst, welchen Zierrat du hast, Händler.«
Der Mann führte sie zum Ende seines Standes, wo er gar wundervolle Borten und Bänder anbot. Ava entschied sich für ein grünes, breites Band mit heller Rankenstickerei darauf, welches sie an den Ärmeln und am Ausschnitt haben wollte. Dann griff sie zu einem passenden grünen Stoff, der die Farbe von dunklem Moos hatte. Nach kurzem Handeln bezahlte sie alles und forderte: »Bring mir Stoff und Bänder nach dem Markt zum Schneider Voltseco von der Mühlenbrücke. Hast du verstanden, Händler?«
»Sehr wohl, edle Dame. Eine gute Wahl – der beste Schneider der Stadt ist für die Verarbeitung eines solchen Tuchs gerade gut genug. Ihr werdet wunderbar in dieser Farbe aussehen. Beehrt mich beim nächsten Markttag wieder.«
»So Gott will, werde ich das tun.« Ava kehrte dem Stand den Rücken und wandte ihren Blick nach Norden, wo sich ihr nächstes Ziel befand.
Einen Moment lang war sie unsicher, ob es tatsächlich richtig wäre, ihrem inneren Drängen nachzugeben. Vielleicht würde sie es hinterher bereuen? Unbewusst starrte sie auf die Dächer der Kurien, von denen die Spitzen schon zu erkennen waren, und biss sich auf der Unterlippe herum. Der Gedanke, Ehlers Zuhause aufzusuchen, war ihr des Morgens ganz
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