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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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noch wünsche ist, deine Vergebung zu erhalten.« Ehler schritt langsam auf sie zu. Dann nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie auf den Mund. Danach gab er sie wieder frei, kniete sich vor ihr hin und vergrub sein Gesicht in ihrem Schoß. »Vergib mir, damit ich mir selbst vergeben kann.«
    Ava war überwältigt von ihren Gefühlen. Konnte dies wirklich ein und dieselbe Person sein? Zu gern wollte sie an seine Reue glauben, weshalb sie ihm, wenn auch zögerlich, ihre Hand auf den Hinterkopf legte. »Ehler, ich bin so glücklich. Natürlich verzeihe ich dir!« Seine unterwürfige Geste zerstreute ihre letzten Zweifel. Sie hatte recht gehabt und Christian unrecht! Ihr Sohn hasste sie nicht, und er bereute sein schlechtes Verhalten zutiefst. Ava musste mit den Tränen kämpfen und verlor. Ungezügelt schluchzte sie.
    »Dann kann ich jetzt wieder Frieden finden«, schloss Ehler.
    »Und ich habe meinen Sohn zurück.«
    Er hob seinen Kopf und blickte in Avas Gesicht. Lange würde er seinen Ekel nicht mehr zurückhalten können, drum stand er auf und geleitete Ava zur Tür hinaus.
    »Ich werde dich bald wieder besuchen kommen, Ehler«, ließ Ava verlauten, nahm sich aber gleich wieder zurück. »Das heißt, natürlich nur wenn du das auch willst.«
    »Wie könnte ich das nicht wollen?«, log der junge Domherr. Behutsam nahm er ihre Hand in seine Hände und küsste sie.
    Dabei blieb Avas Blick an etwas haften.

8
    Die Kurie des Propstes bot dem Erzbischof viele Annehmlichkeiten. Eines davon war eine übermäßig breite Bettstatt, mit wenig asketisch weichen Laken und einem Stoffdach aus wunderschön bestickten Vorhängen, die das Sonnenlicht und die Kälte fernhielten. Noch einmal drehte sich Giselbert von Brunkhorst um und schloss die Augen. Er hätte schon längst aufstehen müssen, doch diese Schlafstätte hielt ihn auf die schönste aller Arten gefangen.
    Es war aber nicht nur die Behaglichkeit, die ihn träge machte. Es war ebenso die heutige Aufgabe. Obwohl er der Erzbischof war, gehörte das Abhalten von Gottesdiensten und christlichen Festen noch immer nicht zu seinen liebsten Pflichten. Anscheinend hatte er umsonst gehofft, dass das Alter etwas daran ändern würde. Wo er konnte, überließ er die Aufgaben seines apostolischen Auftrags einem seiner unterstellten Kirchenmänner – sei es den Domherren oder den Archidiakonen – und widmete sich den streitbaren Kehdingern oder den widerspenstigen Grafen von Stotel, die sein Land noch immer beschnitten und sich nur zu gerne gegen ihn stellten.
    Das Weihen eines Teils des Mariendoms zu Hamburg konnte er allerdings niemandem überlassen, ohne dass man an seiner liturgischen Ernsthaftigkeit gezweifelt hätte, drum streckte er noch einmal die Glieder und schob dann die Vorhänge zur Seite. Seine nackten Füße berührten den Boden. Obwohl es schon Mai war, fröstelte es ihn, und er wäre fast zurück unter die Laken gekrochen; bevor ihn aber sein schwacher Wille übermannte, raffte er sich doch auf und schritt zu seiner Truhe, die ihn überallhin begleitete.
    Das übergroße Möbel war weit über eine Mannslänge lang und so schwer, dass es bloß mithilfe von hölzernen Stangen bewegt werden konnte, die durch eiserne Ringe an den Schmalseiten gesteckt wurden. Das Gewicht des Eichenholzes sowie das der darumgeschlagenen Eisenbänder, die mächtigen Scharniere und Schlösser sorgten dafür, dass die Truhe zwei Deckel hatte, die ein einzelner Mann gerade so anheben konnte. In einer Seite bewahrte Giselbert seine liturgischen Gewänder auf, in der anderen Seite seine Dokumente. Keiner seiner Diener durfte ungefragt hineinsehen – was auch schwierig geworden wäre, da der Erzbischof die einzigen Schlüssel immer bei sich trug. Nun nahm er sie zur Hand und öffnete die Seite mit seinen Gewändern darin.
    Als Erstes holte er sein Pallium hervor, dann seine Mitra mit den beiden Vittae daran. Diese beiden Dinge würde er heute auf jeden Fall brauchen. Daraufhin legte er noch einige andere Gewänder auf die Bettstatt. Sie alle waren dem heutigen Tage angemessen, doch noch hatte er sich nicht entschieden. Normalerweise ließ er sich an besonderen Tagen von Dienern ankleiden und tat das nicht selbst, doch heute war er schon spät dran, und die übermäßige Vorsicht, die das Gesinde stets im Umgang mit liturgischer Kleidung walten ließ, kostete Zeit – Zeit, die er nicht mehr hatte.
    Als Giselbert das letzte Mal zur Truhe schritt, erfassten seine Augen ein Gewand,

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