Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Baum kann nicht arge Früchte bringen , daran wollte er festhalten – waren es doch Gottes Worte. Der Streit mit Thymmo würde enden, dessen war er sich nun gewiss.
Der Ratsnotar öffnete die Augen und drehte sich um; das Antlitz Ehlers befand sich nur eine Handbreit vor ihm. Erschrocken fuhr er zusammen. »Ehler, was tust du hier?«, fragte Johann verblüfft und schaute auf dessen nackten Oberkörper, wo die Striemen seiner letzten Geißelung noch deutlich zu erkennen waren. »Warum bist du hier?«, fragte der Ratsnotar nun strenger, doch auch jetzt bekam er keine Antwort.
Stattdessen setzte Ehler sich langsam in Bewegung.
Johann wich zurück. Erst mit einem Fuß, dann mit dem nächsten. Doch ganz gleich wie weit er sich von ihm entfernte, das hasserfüllte Gesicht des jungen Domherrn schien sich ihm fast schon schwebend zu nähern.
»Warum ich hier bin, wollt Ihr wissen? Das kann ich Euch sagen, Ratsnotar«, grollte Ehler mit rauer Stimme. »Ich werde dafür sorgen, dass Ihr mir nicht länger im Weg steht. Ich kenne Eure Pläne, doch zu ihrer Verwirklichung wird es nicht mehr kommen. Das werde ich nicht zulassen. Nicht umsonst habe ich all das auf mich genommen. Ihr werdet nicht verhindern, dass ich bekomme, was mir zusteht.«
Noch immer schritt Johann Schinkel langsam rückwärts und Ehler langsam vorwärts. »Ich verstehe nicht, wovon du sprichst. Was für Pläne meinst du?«
»Ich rede davon, den Scholastikus zu entmachten – zu Gunsten meines vermaledeiten Stiefvaters. Ihr haltet Euch für klug, doch ich bin Euch weit überlegen. Euch, Thymmo, meinem Stiefvater, ja sogar dem Scholastikus!«
Jetzt war die Mauer des Kuriengartens erreicht. Der Ratsnotar prallte rücklings dagegen und blieb stehen. Johann erkannte, wie ernst seine Lage war. Der einstige Nikolait war so zerfressen von Zorn, dass er zu allem fähig schien. Als Einziger hatte er nicht bemerkt, wie das Böse in ihn gekrochen war. Zügellos brach es nun aus ihm heraus, und es richtete sich gegen den Ratsnotar. »Dein Geist ist krank, Ehler. Du brauchst Hilfe. Gott hilft dir, wenn du dich ihm nur zuwendest!«
Ehler lachte boshaft. »Und hilft Gott auch Euch?« In diesem Moment zückte er ein Messer, dessen zweischneidige Klinge im Sonnenlicht blitzte. Sein irrer Blick war starr auf das Gesicht des Ratsnotars gerichtet.
»Nein! Ehler! Nicht …«, versuchte Johann ihn noch aufzuhalten.
Etwas Dämonisches ergriff von ihm Besitz und führte seine Hand.
»Was hast du vor? Tue es ni…« Es machte bloß ein leises Geräusch, als die Klinge bis zum Heft in Johanns Fleisch fuhr. Die Worte auf seinen Lippen erstarben. Es durchzuckte ihn ein Schmerz, der so heftig war, dass sein Gesicht sich zu einer Fratze verzerrte.
Ehler zog das Messer wieder heraus. Umgehend gaben die Knie des Ratsnotars nach. Sein Opfer glitt ein Stück mit dem Rücken an der Mauer des Gartens entlang und fiel dann mit dem Gesicht nach vorne ins Gras. Es war vorbei. So schnell. Ehler begann zu zittern. Kurz betrachtete er den regungslosen Körper vor sich. Dann warf er etwas auf ihn, was er soeben aus seiner Tasche gezogen hatte.
Während er sich unbemerkt aus dem Garten schlich und zurück zur Kurie des Scholastikus’ ging, fühlte er sich eigenartig. Das Zittern seines Leibes wollte nicht verschwinden, und das erhoffte Gefühl der Erleichterung blieb gänzlich aus. Plötzlich fiel sein Blick auf seine Hand, die noch immer das blutverschmierte Messer hielt. Der Anblick ließ ihn erschaudern – fast so, als hätte er jene Tat, die damit zusammenhing, nicht getan.
Stoßweise atmend stürzte er zum Brunnen der Kurie, warf das Messer hinein und holte einen Eimer Wasser herauf, dessen kalten Inhalt er sich über den Kopf goss. Eimer um Eimer folgten, bis sich eine große Pfütze um seine Füße gebildet hatte. Sein nackter Oberkörper war von Gänsehaut überzogen, das Zittern wurde stärker, und doch fühlte er keine Kälte.
Der Morgen des Weihefestes begann für Ava mit Schlaflosigkeit. Die halbe Nacht lag sie schon wach. Christian schlief neben ihr. Sie lauschte seinem Atem, während sie über die Zukunft nachdachte.
War es anfänglich bloß ein vager Verdacht gewesen, so hatte sich ihre Befürchtung in den letzten Wochen bestätigt: Sie war schwanger! Schon wieder! Doch anstatt damit zu hadern, nun erneut durch die anstrengende Zeit einer Schwangerschaft gehen zu müssen, stellte sich langsam ein Gefühl der Freude ein. Die kurz aufgeflammte Angst wich mehr und mehr der
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