Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
ein länglicher Ziegelbau, in dem die Stallungen und Wirtschaftsgebäude untergebracht waren, und ein mächtiger, alles dominierender Wohnturm, der bloß durch einen Eingang im zweiten Stock über angelehnte Stiegen betreten werden konnte. Die Mauern des Turms waren dick und hoch. Der Bau aus riesigen Findlingen wurde durch den festen Segeberger Kalk vom Kalkberg zusammengehalten und war gekrönt durch einen Oberbau aus Ziegelsteinen. Alle drei Inseln der Burg waren von einem tiefen Graben umgeben, der aus der Bille gespeist wurde, die nur wenige Schritte entfernt ihren Ursprung hatte. Die Burg war so gut wie uneinnehmbar.
Eccard lenkte Kylion auf den Innenhof der Hauptburg. Dort stieg er ab. Es herrschte ein geschäftiges Treiben von Mägden mit Körben und Knechten mit Pferden, in dem niemand den neu angekommenen Ritter so recht zu beachten schien. In einer Ecke hämmerte ein Schmied lärmend auf einem glühenden Hufeisen herum, während ein Mädchen ein paar Hühner vor sich her trieb. Zwischen all dem Gewirr lagen zwei große, schwarze Hunde, die das alles nicht zu stören schien. Eccard entschied, einem Knaben sein Pferd zu überlassen. »He, du da. Komm her zu mir.«
Der Junge gehorchte und lief geschwind zu Eccard. »Was kann ich für Euch tun, Herr?«
»Nimm mein Pferd, und versorge es. Aber sei vorsichtig, der Hengst tritt.«
»Jawohl, Herr«, antwortete der Bursche unterwürfig und griff sogleich nach den Zügeln. Als der Junge gerade gehen wollte, rief der Ritter ihn zurück.
»Sag mir, Knecht, sind die Herren Scarpenbergh im Turm?«
»Nein, Herr. Sie sind … auf der Jagd.«
Eccard schaute den Jungen verwundert an, der daraufhin den Blick senkte. Dann verstand er. Das Wort Jagd war in diesem Fall mehrdeutig. Die Placker gingen also wieder ihrer zweifelhaften Arbeit nach. »Verstehe.«
In diesem Moment wurde es laut auf dem Burghof. Eine Gruppe von sechs Rittern kam im vollen Galopp durch den Torbogen des hölzernen Turms geprescht. Laut grölend und lachend ritten sie rücksichtslos in die Menge, die daraufhin panisch auseinanderstob.
Eccards Apfelschimmelhengst, den der Junge gerade zu den Stallungen führen wollte, erschrak so sehr, dass er nervös zu tänzeln begann. Der Knecht hatte sichtlich Probleme damit, das aufgeschreckte Tier zu bändigen. Immer wieder umrundete das Pferd federfüßig den Jungen und schüttelte dabei wild den Kopf.
Gerade wollte der Ritter dem Jungen zu Hilfe eilen, als sein Pferd sich vorne aufbäumte und den Knecht mit dem Vorderhuf am Arm erwischte. Die Zügel glitten ihm aus den Fingern, und der Hengst riss sich los. Bloß durch einen beherzten Sprung schaffte Eccard es, Kylion im letzten Moment daran zu hindern durchzugehen. Er ergriff die Zügel und beruhigte den verängstigten Hengst, so gut es ging.
»Junge, ist mit dir alles in Ordnung?«, rief Eccard dem Knecht zu, der zusammengekauert auf dem Boden lag und stöhnte.
Nur langsam richtete dieser sich wieder auf. Dabei hielt er sich den Arm, der in einem seltsamen Winkel nach hinten geknickt war. Jetzt wurden auch die anderen Burgbewohner auf den Verletzten aufmerksam und kamen herbeigeeilt, um dem Jungen aufzuhelfen.
Noch ehe Eccard sich versah, war der Verletzte auch schon fortgebracht worden. Er starrte dem Kind noch hinterher, als von irgendwo ein rußverschmierter Kerl angelaufen kam und ihm sein Pferd abnahm. Dankbar ließ Eccard den Mann gewähren und wandte sich dann schließlich den Rittern zu, die ebenfalls ihre Pferde einem Knecht übergaben.
Marquardus Scarpenbergh bemerkte Eccard als Erster. »Sieh an, sieh an, was der Wind uns heute auf die Burg geweht hat«, stieß er mit einer Mischung aus Interesse und Belustigung aus. Die Männer kannten sich schon lange, doch die letzten Jahre hatten deutlich gemacht, wie sehr ihre Ansichten sich unterschieden. Entsprechend verwundert waren die Ritter über ihren Besucher.
»Seid gegrüßt, Marquardus. Seid gegrüßt, Ludolph«, sprach Eccard höflich, aber mit einiger Zurückhaltung zu den beiden Brüdern.
»Wir haben uns lang nicht mehr gesehen, Ribe.«
»Richtig«, gab Eccard einsilbig zurück und ließ seinen Blick unbewegt auf dem Gesicht des Plackers ruhen.
»Genau genommen seit der St.-Veitsmarkts-Versammlung nicht mehr …«
»Schon wieder richtig. Euer Gedächtnis ist ja fabelhaft.«
»Spottet Ihr über mich?«
»Ganz und gar nicht«, log Eccard mit starrer Miene.
»Dann frage ich mich, was Ihr mir damit zu sagen versucht?«
»Ich habe
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