Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Diebesgut ließ sie fürstlich leben, und ein schlechtes Gewissen, da sie dafür raubten und mordeten, schien keiner der Ritter zu haben.
Als das Mahl schon fast beendet war, erinnerte sich Ludolph des eigentlichen Grundes von Eccards Besuch. »Sagt, Ribe. Ihr spracht vorhin von einer Nachricht, die Ihr uns im Namen des Grafen überbringen solltet. Wie lautet sie?«
»Richtig«, fiel es nun auch Eccard wieder ein. Er griff unter seinen Mantel und übergab Ludolph den Brief, in dem Albrecht von Schauenburg über das Schicksal des allseits bekannten Kaufmanns berichtete. »Johannes vom Berge wird am Martinitag hingerichtet. Graf Gerhard wünscht unsere Anwesenheit am Kunzenhof. Hier könnt Ihr nachlesen, was ich sage.«
Der Ritter überflog die Zeilen und übergab das Schreiben dann an seinen Bruder. Der las es gründlicher, hob danach seinen Blick und entschied unbeeindruckt: »Gut, wir reiten morgen in aller Früh los.«
Danach war der Abend schnell beendet.
Eccard hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Auch wenn man ihm sogar eine eigene winzige Kammer mit einem Strohsack als Bettstatt zugestanden hatte, lag er über Stunden wach und grübelte. Seine Gedanken waren zunächst erfüllt von den jüngsten Ereignissen, dem Buhurt, seinem Weib und der anstehenden Hinrichtung. Zugegebenermaßen geriet Johannes vom Berge aber recht schnell aus seinem Gedächtnis, und von da an galten seine Gedanken ausschließlich seiner eigenen Zukunft.
Auch wenn er es sich erst nicht eingestehen wollte, die Begebenheiten des vergangenen Abends hatten ihn sehr nachdenklich gemacht. Immer wieder fragte er sich, ob er wirklich weiterhin unter einem Grafen dienen konnte, der ein solches Verhalten seiner Ritter billigte. Natürlich hatte er schon vorher gewusst, dass die Scarpenberghs keine Chorschüler waren, doch das kürzlich Erlebte hatte ihm noch einmal vor Augen geführt, wie unfassbar die Taten dieser Männer waren. Ihretwegen waren die Straßen um Hamburg herum nicht mehr sicher, und der Einzige, der etwas daran ändern konnte, tat nichts!
Schon vor einigen Monaten hatte Eccard mit dem Gedanken gespielt, den er jetzt hier auf dem Strohsack vervollständigte. Sehr wahrscheinlich hatte er seine Entscheidung schon gefällt, als Gräfin Margarete von Dänemark ihm diesen einen Satz gesagt hatte, der ihn einfach nicht mehr losließ. Es gibt Dinge, die unterliegen der gottgewollten Ordnung, und es gibt Dinge, die sich ändern lassen, Ritter Eccard. Als der Morgen endlich anbrach und der erste zarte Lichtstrahl durch die Ritzen seiner Fensterluke fiel, stand sein Entschluss fest.
Ohne jedes Wort des Abschieds verließ er den Burgturm und ging zu den Stallungen hinüber. Er wollte bloß auf seinen Hengst steigen und diesen Ort endlich verlassen. Vor allem aber wollte er die Scarpenberghs verlassen – möglichst für immer.
Im Stall standen einige Pferde, und viele davon sahen äußerst kostbar aus. Kylion aber hob sich von allen anderen ab. Noch nie hatte er ein Pferd mit einer solch auffälligen Zeichnung gesehen. Fast schwarze Beine gingen in einen weißen Körper über, der am Hinterteil mit dem typischen gräulichen Apfelschimmelmuster überzogen war. Auch am Hals war das weiße Fell des Körpers durch vereinzelnde Stichelhaare grauer, bis es am Ende des Kopfes in kleinen, dunklen Punkten endete. Die Mähne und der Schweif seines Hengstes erstrahlten wie immer in einem makellosen Weiß. Ja, Kylion war eine Schönheit, und sein stets hoch aufgerichteter Kopf mit den allzeit gespitzten Ohren, ließ ihn wie immer riesig erscheinen.
»Guten Morgen, mein Bester. Offenbar hast du die Nacht gut überstanden. Es tut mir leid, heute wird es für dich kein morgendliches Mahl geben, wir müssen los.« Während er mit dem Hengst redete, führte er ihn aus der Box. Eccard rechnete nicht damit, dass sich um diese Zeit schon jemand fand, der sein Pferd für ihn sattelte, deshalb griff er selbst zum Leder. Nur wenig später saß er auf, unter ihm ertönte das hohle Geräusch von beschlagenen Hufen auf einer hölzernen Zugbrücke.
Als die vom Nebel verschleierte Oktobersonne am höchsten stand, erreichte Eccard endlich die Mühle seiner Burg. Vor der Mühle lag wie immer der alte Hund, der bereits zu dem Gebäude gehörte wie der Mühlstein. Doch wo war Erich? Normalerweise kam er immer aus seiner windschiefen Hütte, wenn jemand den Weg passierte, oder man hörte ihn arbeiten. Doch dieses Mal war alles still. Auch sonst war niemand zu sehen.
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