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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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zurückzukehren.
    »Weil der Rat endlich eine Entscheidung über das Schicksal von Johannes vom Berge gefällt hat. Er wird am Martinifest, am elften November hingerichtet. Die klugen Köpfe im Rathaus haben nicht vor, Gnade walten zu lassen – er wird gerädert!«
    Die Frauen der Familie wandten erschrocken den Blick ab und schlugen die Hände vor die Münder. Ein geflüstertes »Heilige Mutter Gottes«war zu hören . Dann war es kurzzeitig still. Zwar hegten sie kein Mitleid mit dem Verurteilten, doch das Entsetzen über die Strafe war verständlich. Rädern war mit Sicherheit die schrecklichste aller Methoden, um jemanden hinzurichten. Dennoch, Johannes vom Berge hatte wahrlich Strafe verdient!
    Albert war der Einzige, dem keine Regung zu entlocken war. Er fühlte weder Anteilnahme noch Genugtuung, wenn er an die Hinrichtung seines Feindes dachte. Denn kein noch so qualvoller Tod konnte ihm zurückbringen, was Johannes vom Berge ihm in den letzten Jahren genommen hatte: Ragnhild und er waren fünfzehn Jahre lang getrennt gewesen, seine Kinder ihm entrissen worden, man hatte ihn des Rats verbannt und seines Kaufmannshauses entledigt, und schlussendlich war selbst der Tod seines besten Freundes Thiderich dem Ratsherrn anzulasten. Nein, Albert war froh, dass Johannes nun sterben würde – auf welche Weise, war ihm gleich. Schließlich sagte er: »Nun, dann sollten wir Godeke einen Brief zukommen lassen, damit er Platz in seinem Hause schafft. All der Schrecken hat wenigstens auch etwas Gutes, nämlich, dass wir uns alle wiedersehen werden.« Dann richtete er das Wort noch einmal an Eccard. »Wie steht es um Runa, Walther und Margareta?«
    »Sie werden das Grafenpaar nach Hamburg begleiten.«
    »Dann ist die Familie endlich wieder beisammen.« Albert legte Eccard die Hand auf die Schulter. »Und mit etwas Glück wird es tatsächlich eine Möglichkeit für dich geben, in diesen Tagen mit Graf Johann II. zu sprechen. Wir werden sehen ….«

4
    Everard schleppte sich schwerfällig über die aufgeweichten Wege. Der Geistliche war schon lange darüber hinaus, einfach nur schlechte Laune zu haben. Nein, er war wütend, entmutigt und erschöpft zugleich –, und er schämte sich – was eindeutig das schlimmste all seiner Gefühle war.
    Was für einen lausigen Pilger er doch abgab! Seit er Hamburg vor sechs Wochen verlassen hatte, verfolgte ihn das Pech wie eine dunkle Wolke.
    Everards Erleichterung darüber, einer viel grausameren Strafe entkommen zu sein, war zunächst so groß gewesen, dass er dem Rat einfach alles versprochen hatte. Ja, ich werde den Eid ablegen, und ich werde die Reise antreten, klangen ihm seine eigenen Worte noch im Ohr. Weder das weite Ziel noch die Auflage von Graf Gerhard hatten ihn abschrecken können. Erst viel später, des Nachts, in einem stillen Moment, in dem er nachdenken konnte, war ihm klar geworden, was sein Versprechen bedeutete. Sein Weg zur Grabesstätte der Apostel Petrus und Paulus würde ihn ganz bis über die Alpen zur Via Francigena führen. Er wäre Wochen unterwegs – vielleicht Monate –, doch es gab kein Zurück mehr.
    Als er kurz darauf Hamburg verlassen hatte, war er noch frohen Mutes gewesen und hatte seine Strafe fast als Geschenk empfunden; schließlich sollte jeder gute Christenmann einmal in seinem Leben auf Pilgerreise gehen! Heute jedoch bereute er seine großspurigen Versprechen, denn seine Reise war schon jetzt sehr viel kräftezehrender, als er es je für möglich gehalten hatte.
    Zuerst war er nach Paderborn zu den Gebeinen des heiligen Liborius gepilgert, die seit über vierhundertfünfzig Jahren in der Krypta des Doms lagen. Bis zur Stadtmauer lief er noch beschwingten Schrittes. Ab hier aber hatte er das Versprechen an Graf Gerhard zu erfüllen. So begab er sich auf die Knie, um die heilige Stätte auf ebendiesen zu erreichen. Jene Pflicht sollte seinen Untergang bedeuten: Anders als in Hamburg, wo viele Straßen aus Lehm und Sand waren, war der Boden der vor zwei Jahren abgebrannten Stadt nun zu großen Teilen mit Steinen gepflastert worden. Schon nach wenigen Mannslängen spürte Everard, wie die Haut an seinen Gelenken schmerzhaft aufgescheuert wurde, bis sie schließlich blutig war. In seiner Not versuchte er, seinen langen Pilgermantel unter die Knie zu schieben, was seine Pein auch für kurze Zeit linderte. Doch endlich beim Dom angekommen, dessen weit in den Himmel reichenden Turm er zum Glück nicht hatte übersehen können, zeigte sich der untere

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