Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
mit dir? Du kannst dich ja fast nicht auf der Bank halten. Vielleicht solltest du Wein und Weib nicht jeden Abend zusprechen, dann würdest du mal eine ganz neue Erfahrung machen – nämlich wie es ist, ausgeschlafen zu sein«, bemerkte Godeke fast nebenbei und ohne Christian Godonis dabei anzusehen. Er kannte seinen Freund recht gut und wusste, dass er sich gern in den Hurenhäusern und den Schenken der Stadt herumtrieb. Dass er trotz seines ausschweifenden und wenig rühmlichen Lebens im Rat der Stadt saß, hatte er vor allem seinem guten Familiennamen zu verdanken.
»Du irrst dich, mein Freund. Auch wenn Hannah mich doch recht lang wachgehalten hat …«, sagte er spöttisch grinsend.
»Wer ist Hannah?«
»Meine Magd«, ließ Christian ihn wissen und erntete ein Kopfschütteln, bevor er wieder ansetzte. »… Dieses eine Mal tragen weder der Wein noch die Weiber Schuld an meiner Müdigkeit.«
Nun wurde Godeke hellhörig. »Jetzt bin ich aber gespannt. Besteht denn tatsächlich die Möglichkeit, dass es außer diesen beiden Sachen noch etwas in deinem Leben gibt, was dir den Schlaf raubt? Die Arbeit kann es ja wohl nicht sein«, spottete er mit einem Augenzwinkern. So sehr sich Godeke manchmal auch bemühte, er konnte sein Gegenüber oft nicht ganz ernst nehmen. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Und dennoch waren sie befreundet.
Christian Godonis war nicht im Geringsten beleidigt. Er wusste, dass er seinen Reichtum seinem Vater zu verdanken hatte, und damit hatte er kein Problem. Zwar war er keinesfalls untätig, doch arbeitete er nur dann, wenn ihm der Sinn danach stand. »Ja, leider gibt es noch etwas, das mir den Schlaf raubt. Und zwar die Marianer und die Nikolaiten. Ich sage dir, trauere bloß nicht um die Häuser deiner Familie in der Reichenstraße, die Graf Gerhard II. und Hereward von Rokesberghe sich einverleibt haben. Derzeit ist es kein Geschenk, dort zu wohnen. Ausgerechnet vor meinem Haus müssen sich diese kleinen Bälger ständig ihre Schlachten liefern. Heute Morgen, bei Sonnenaufgang, schon wieder.«
»Wieder eine dieser Schuljungenschlachten, sagst du? Unglaublich, welche Ausmaße das schon annimmt. Ich frage mich, ob es nicht reicht, wenn sich die Grafen, der Klerus und die Ratsherrn streiten. Es ist nicht gut, wenn schon die Kinder unserer Stadt die Fäuste gegeneinander erheben. Gab es Verletzte?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Christian zerschlagen. »Ich bin sicher nicht zum Aufräumen auf die Straße gegangen.«
Godeke zog eine Augenbraue nach oben und schaute seinen Freund verstimmt an. Er hätte die Antwort kennen müssen. So sehr er ihn auch mochte, Fremde interessierten den vorlauten Kaufmannssohn nicht – selbst dann nicht, wenn es Kinder waren.
Stattdessen begann er nun, sich missgelaunt zu beschweren – zum Glück im Flüsterton, so viel Anstand besaß er dann doch in Gegenwart der langsam eintreffenden Ratsherren. »Herrgott nochmal, wann geht denn diese Sitzung endlich los? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit hier zu warten.«
Kopfschüttelnd und ebenso leise tadelte ihn sein Freund. »Nun reiß dich mal zusammen, Mann. Dein Benehmen ist schlimmer als das eines besoffenen Hafenarbeiters. Es wundert mich nicht, dass die meisten der Ratsherren auf deine Gegenwart verzichten könnten.«
Christian lachte amüsiert und flegelte sich gleichzeitig mit dem Rücken gegen die geschnitzte Banklehne. »Du bist zu gut erzogen, mein Bester. Merke dir eines, die Pisse aller Männer ist gelb – auch die der Ratsherren. Wir sind alle gleich.«
Godeke verdrehte die Augen und wandte sich ab. Mit einer gehörigen Menge Entrüstung flehte er leise gen Himmel: »Gütiger Gott, lass diese Sitzung endlich beginnen, damit diesem Rüpel neben mir endlich das Maul gestopft wird …!«
Godekes Wunsch wurde erhört.
»Guten Morgen, meine Herren«, sprach Willekin Aios in die Runde, als er das Gehege betrat. Die Ratsherren waren fast vollständig versammelt. Bloß wenige Herren fehlten, da diese auf geschäftlichen Reisen waren. Aios begab sich auf seinen Platz und begann: »Die heutige Sitzung würde ich gerne der Besprechung des beständigen Vorantreibens der Unabhängigkeit unserer Stadt widmen. Zum einen ist ein weiterer Schritt in unserem Bestreben, das Recht der freien Kore zu erhalten, getan, von dem ich berichten werde. Zum anderen wurde mir eine Idee von unserem ehrenwerten Hartwic von Erteneborg angetragen, die ich heute gerne besprechen würde. Doch zunächst die
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