Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
ersten Auftrag im Namen des Rates nicht entgangen war. »Bitte sucht Euch einen Gehilfen aus unseren Reihen aus.«
»Ich wähle …«
Alle Ratsherren schauten Godeke wohlwollend an. Ein jeder hätte ihm geholfen, sein erstes Amt zufriedenstellend zu meistern, doch Godeke wollte einen ganz bestimmten Mann. »… Christian Godonis.«
Sein Freund schaute ihn an, als hätte man ihm einen Pferdeapfel in den Mund gesteckt. »Ich?«
»Ja, genau.« Godeke musste sich stark zusammenreißen, um nicht loszulachen. Er hatte sich denken können, dass Christian keineswegs versuchte, seine Abneigung angesichts dieser zusätzlichen Arbeit zu verbergen. Doch niemand ging darauf ein.
»Nun, wenn es Eure Wahl ist, dann sei es so. Sprechen wir nun, wie angekündigt, über unsere Absicht, möglichst bald das Recht der freien Kore zu erhalten.«
Der Bürgermeister musste zu diesem Gesprächsthema nichts mehr erklären. Jeder der Anwesenden war genauestens über das Bestreben des Rates informiert, mit dem ein weiterer großer Schritt zur Unabhängigkeit der Stadt gegenüber den Landesherren getan wäre, welches zu einem der wichtigsten Ziele der Ratsherren geworden war.
Zahlreiche Kriege und Fehden hatten die Schauenburger in der Vergangenheit finanziell geschwächt, sodass sie immer wieder auf Zahlungen oder Unterstützung in Form von Streitkräften und Schiffen der Hamburger angewiesen waren. Diese Schwäche machten sich die Ratsherren zunutze, um immer neue Ländereien, Einkünfte, Titel oder Einrichtungen von den Grafen zu erwerben. Schon seit vielen Jahren wurde so beständig an der vollständigen Unabhängigkeit der Stadt gearbeitet, und immer wieder gelang dem Rat ein Streich, der sie diesem Ziel noch näher brachte: Vor einigen Jahren erhielt der Rat das Recht, zwei Beisitzer im gräflichen Vogtgericht zu platzieren, was die bislang unangefochtene Macht des Vogtes schwächte. Später übernahmen die Städter die Obermühle, dann die Niedermühle. Als schlussendlich auch noch das Einsetzen zweier weiterer gräflicher Vögte, neben dem bereits bestehenden Vogt, verhindert wurde, war die Landesherrschaft der Schauenburger Grafen in Hamburg ernstlich in Gefahr. Nun wurde das neuste Ziel des Rates unerbittlich vorangetrieben, nämlich das uneingeschränkte Recht, neue Gesetze zu erlassen und widerrufen zu können – das Recht der freien Kore.
Der Bürgermeister sprach weiter. »Am Martinitage, dem Tage, der von uns kürzlich beschlossenen Hinrichtung, werden unsere Landesherren das nächste Mal in der Stadt versammelt sein. Diese Gelegenheit sollten wir nutzen, um unsere Forderung erneut und mit Nachdruck vor die Grafen zu bringen. Aus diesem Grunde haben unser ehrenwerter Ratsnotar und ich ein Schreiben verfasst, in dem wir nochmals auflisten, mit welcher Begründung wir das Recht der freien Kore fordern, und in dem wir die Grafen um eine Versammlung im Rathaus am elften November bitten. Aber höret später selbst; das Schreiben wird Euch am Ende der Sitzung von einem Ratssekretär verlesen. Wenn die Worte Euer Einverständnis finden, wird der Brief verfünffacht, auf dass wir einen Boten nach Plön zu Gerhard II., einen nach Kiel zu Johann II., einen nach Segeberg zu Adolf V., einen nach Pinneberg zu Adolf VI. und einen nach Rendsburg zu Heinrich I. schicken können. Gibt es hierzu Fragen?«
Die Ratsherren verneinten allesamt.
»In Ordnung, dann kommen wir jetzt zu der Idee, die Hartwic von Erteneborg mir angetragen hat. Sie betrifft die gräfliche Münze unserer Stadt. Bevor ich anfange, Euch von Hartwics Idee zu erzählen, möchte ich Euch eine Frage stellen.« Willekin Aios begann, schelmisch zu lächeln, und verriet damit die Absicht seiner Frage. Er wollte den Ratsherren aufzeigen, wie selbstverständlich er die Antwort seiner Frage fand, und ja, er wollte die Herren auf diese Weise auch ein wenig beeinflussen. »Fällt einem unter Euch ein Grund ein, warum die gräfliche Münze eigentlich weiterhin gräflich sein sollte?«
»Ehler ist verschwunden!«, platzte es nur so aus Ava heraus, die ohne anzuklopfen einfach durch die geöffnete Hintertür hereingekommen war, und Oda und Godeke beim morgendlichen Mahl unterbrach.
Sofort sprang Oda auf und schloss die Nachbarin und Freundin in die Arme. »Nur ruhig, Ava. Seit wann ist er fort?«
»Ich weiß es nicht genau«, gab sie leicht verwirrt wieder. »Ich … also …«
Godeke kam hinzu. Er fasste Ava bei den Schultern und sagte: »Nun setz dich erst einmal, und
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