Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Schulen die Bürger. Die Erwachsenen schienen unfähig, sich zu einigen. Darum kam es, dass die Jungen die Sache selbst in die Hand nahmen und mit Kämpfen in möglichst dicht bewohnten Straßen die Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken versuchten.
Dennoch, nicht jeder Hamburger Bürger konnte oder wollte diese Nachricht verstehen – schon gar nicht zu dieser frühen Stunde. Als die kämpfenden Schüler auch nach einigem Brüllen nicht voneinander abließen, griff einer der Geweckten zu anderen Mitteln.
Als der randvolle Nachttopf über vier kämpfende Burschen geleert wurde, stoben diese auseinander. Nass und stinkend, wie sie nun waren, brüllten sie wüste Beschimpfungen nach oben, ließen sich aber schlussendlich vertreiben.
Ein kleiner aber harter Kern von Unverbesserlichen blieb jedoch, wo er war. Unerbittlich schlugen sie aufeinander ein, zogen sich an der Kleidung und rauften sich gegenseitig die Haare. Eng ineinander verschlungen, wälzten sie sich im Staub der Straßen und achteten auch nicht auf die Pissepfütze.
Es handelte sich nur noch um vier Marianer, die gegen drei Nikolaiten kämpften, doch machten diese sieben Jungen Lärm für zwanzig.
»Du Bastard, du Hundsfott, dir werde ich es zeigen!«, brüllte der am Boden liegende Lukas den Anführer der Nikolaiten an, nachdem er ihn endlich von sich heruntergestoßen hatte.
Othmar Nannonis sprang augenblicklich wieder auf die Beine und machte auffordernde Bewegungen mit den Händen. »Komm schon, wenn du dich traust. Ich warte nur darauf, dir eine Lehre zu erteilen.«
Ohne zu zögern, sprang Lukas gleich wieder auf seinen Feind zu, um ihm erneut einen Kinnhaken zu verpassen, doch Othmar wich geschickt aus und versetzte seinem Gegner stattdessen einen kräftigen Schlag. Lukas ließ sich jedoch nicht so leicht abschütteln, er war wütend und ging wieder auf Othmar los. Nur einen Augenblick später waren die beiden Jungen wieder eng ineinander verkeilt.
Neben Othmar und Lukas kämpften auch noch zwei weitere Paare miteinander. Der siebte und letzte Schüler, ein Marianer, konnte bloß dastehen und zusehen. Fast schien es, dass die Schüler des Neustadt-Kirchspiels gewinnen würden, als der noch übriggebliebene Junge eine achtlos weggeworfene Steinschleuder aufhob. In dem Wissen, dass sehr bald die ersten Erwachsenen aus den Häusern stürmen würden, um die raufenden Schüler auseinanderzuzerren und sie ihren Eltern zu überbringen, nahm der Marianer einen Stein von der Straße und spannte das Leder. Seine Hand zitterte, als er zielte. Vielleicht war es Glück, vielleicht auch Können, auf jeden Fall war es ein Treffer!
Mit einem eindeutigen Geräusch ging der Anvisierte zu Boden. An seiner Schläfe war eine klaffende Wunde auszumachen, die sofort stark zu bluten begann.
In diesem Moment hielten die übrigen fünf Jungen inne. Wortlos blickten sie auf den regungslos am Boden liegenden Nikolai-Schüler. Sie alle hatten kleinere Blessuren, denen sie keine weitere Beachtung schenkten, doch dies hier war etwas anderes!
»Verdammt, Ribo! Was hast du getan?«, entfuhr es Lukas erschrocken.
Gleich darauf stürmten die Nikolaiten zu ihrem ohnmächtigen Freund. »Ehler!«, rief einer von ihnen, doch der Junge antwortete nicht.
Nun bekamen es die vier Marianer mit der Angst zu tun, so streitlustig sie auch eben noch gebrüllt hatten.
»Ist … ist er … tot?«, fragte der Schütze stotternd.
Keiner gab ihm Antwort. Stattdessen versuchten die Freunde des Jungen wieder und wieder zu ihm durchzudringen. »Ehler, Ehler. Sag etwas!«
Ribo, der eben noch so geschickt die Steinschleuder geführt hatte, schaute atemlos auf sein Opfer. »Das habe ich nicht gewollt! Das habe ich nicht gewollt!«, stammelte er immer wieder. Sicher, er hasste die einfältigen Nikolaiten, doch dass einer von ihnen starb, war bestimmt nicht sein Ziel gewesen. Mit einer hastigen Bewegung, fast so, als hätte er sich daran verbrannt, warf er die Schleuder von sich. Dann rannte er ängstlich davon.
Auch seine Freunde suchten schnell das Weite.
Nur einen Atemzug später waren die zwei Nikolai-Schüler mit dem Verletzten allein.
»Ehler, mach die Augen auf«, versuchte Othmar seinen Freund zu erreichen und schüttelte ihn an den Schultern, doch nichts geschah.
»Komm schon. Wach auf«, rief der zweite und verpasste dem Jungen flugs eine Ohrfeige.
»Sag mal, bist du noch ganz bei Trost?«, fuhr Othmar ihn an, wendete den Blick jedoch gleich wieder in Richtung des
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