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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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erzähle der Reihe nach.«
    Ava tat wie ihr geheißen und begann zu reden. »Gestern hat er schon früh das Haus verlassen. Er sagte, dass er nach der Schule noch Lateinübungen machen muss und später kommen wird. Als ich nach der Mittagsstunde vom Markt kam, habe ich Veyt gefragt, ob Ehler schon da sei. Er sagte, er schliefe in seiner Kammer, doch er hat bloß für ihn gelogen. Veyt hat keine Ahnung wo er ist, oder er sagt es mir nicht.« Dann sah sie Godeke eindringlich in die Augen. »Finde ihn!«
    »Sei unbesorgt, Ava. Ich mache mich gleich auf den Weg.« Godeke verließ die Küche, nahm seinen Mantel zur Hand und trat auf die Straße. Er hatte keine Ahnung, wo er mit der Suche beginnen sollte, doch er musste Ehler finden. Seit dem Tode dessen Vaters vor einigen Monaten, hatte Godeke sich Ehlers, seines Bruders Veyt und seiner Mutter Ava angenommen. Und je mehr Zeit verging, desto mehr empfand er es als seine Pflicht, den Jungen den Vater zu ersetzen. Godeke ging kurz in sich und entschied dann, in die Reichenstraße zu eilen. Er hatte nämlich eine Vermutung, was mit Ehler geschehen war, und wenn er richtig lag, konnte er die Suche nach dem Jungen gleich mit seiner neuen Aufgabe als Ratsherr verbinden.
    Als er in die Straße einbog, in der sein Elternhaus stand, überkam ihn wie immer ein Gefühl der Wehmut. Es war noch nicht lange her, da hatte er genau hier stets seine Familie besucht. Nun gehörte das dreigeschossige Steinhaus Graf Gerhard II., der nicht oft in der Stadt war, und der es selbst dann kaum aufsuchte. Daher stand es fast immer leer. Godeke ging daran vorbei und warf einen kurzen Blick durch den steinernen Torbogen, der direkt in den Innenhof zum Reichenstraßenfleet führte, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Nur zwei Häuser weiter kam er zu Runas und Walthers ehemaligem Kaufmannshaus, das zwar ein wenig kleiner war, jedoch auch aus Sandstein und ebenso durch einen abschließenden Treppengiebel geschmückt. Auch dieses Haus gehörte nun nicht mehr zum Familienbesitz, nachdem es Hereward von Rokesberghe zum Ausgleich der bereits gezahlten Brautgabe überschrieben worden war.
    Godeke riss seinen Blick los und ermahnte sich selbst: Erinnere dich deiner Aufgabe! Danach richtete er seine Augen auf den Boden. Auch wenn er sich nicht viel Hoffnung machte, etwas zu entdecken, was ihm dabei half, Ehler zu finden, suchte er dennoch die schmutzigen Straßen ab. Nach kurzer Zeit jedoch fragte er sich, was er geglaubt hatte zu entdecken. Seit dem Morgen waren so viele Füße, Hufe und Klauen über den Boden getrampelt, dass hier bloß noch Schlieren und Abdrücke zu erkennen waren. Nichts erinnerte mehr an einen Kampf. Als er gerade wieder gehen wollte, öffnete sich die Tür eines der Kaufmannshäuser, die ihn umgaben. Heraus kam ein Mann, der ihm aus der Zeit, da er selbst noch in der Reichenstraße gewohnt hatte, bekannt war. »Dominus von Holdenstede. Gut, dass Ihr hier seid …!«
    »Albus Ecgo, wie erfreulich, Euch einmal wiederzusehen. Was gibt es?«
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass man Euch mit der Erforschung der Umstände der Schülerstreitigkeiten betraut hat.«
    »So ist es«, bejahte Godeke mit unterschwellig zu hörendem Stolz. »Habt Ihr mir etwas zu sagen, was mir bei meiner Arbeit behilflich sein könnte?«
    »Vielleicht, Ratsherr«, erwiderte der frühere Nachbar mit einer abwägenden Handbewegung und streckte Godeke eine Steinschleuder entgegen. »Ich wurde gestern Morgen von der Prügelei geweckt. Als ich nach unten kam, um mir die Jungen vorzunehmen, flitzten sie davon. Die Schleuder fand ich vor meiner Tür.«
    »Ihr habt also keinen der Burschen erwischen können? Wie bedauerlich«, gab Godeke enttäuscht zurück.
    »Das stimmt zwar, allerdings konnte ich noch erkennen, dass dieser Othmar Nannonis wieder dabei war. Er hat am lautesten geschrien. Vielleicht solltet Ihr Euch den mal vornehmen, Dominus.«
    Godekes Gesicht hellte sich wieder auf. »Habt Dank für Eure Mithilfe, Albus. Ich werde diesem Hinweis umgehend nachgehen.«
    Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg ins Nikolai-Kirchspiel. Er kannte den genannten Jungen Othmar, ebenso wie dessen Vater Dagmarus, der selbst ein Mitglied des Rates war. Genau hier würde er seine Suche fortsetzen. Doch zuvor würde er Christian abholen, der ihm behilflich sein sollte – ob er nun wollte oder nicht.
    Er ging die Reichenstraße Richtung Westen entlang, bis sie zum Ness wurde. Hier hielt er sich links,

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