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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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langsam den Kopf. »Wie kann es nur immer so weit kommen? Er entgleitet mir, Godeke. Seit Thiderichs Tod ist er ungehorsam und verschlossen. Was kann ich nur tun?«
    »Mach dir nicht zu viele Sorgen, Ava. Alle Jungen in seinem Alter prügeln sich. Wenn ich ihn mir häufiger zur Brust nehme, wird er keine Zeit mehr für solch dumme Einfälle haben. Ich werde mich mehr um ihn kümmern, jedenfalls solange, bis du einen neuen Gemahl hast.«
    Avas Kopf ruckte hoch. »Ich bin noch in Trauer und denke nicht daran, jetzt schon wieder zu heiraten. Thiderich ist erst wenige Monate tot. Du wirst ja wohl nicht etwa schon …«
    Godeke erkannte die Besorgnis in ihrem Blick, was ihn ein wenig enttäuschte. Zwar war er mit Avas Einverständnis zu ihrem Muntwalt ernannt worden, was auch bedeutete, dass es somit an ihm war, ihr einen neuen Ehemann zu suchen, doch hatte er nicht vor, dies ohne ihre Zustimmung zu tun. »Bitte, Ava, ich werde dir ganz sicher keinen neuen Gemahl vor die Nase setzen, ohne mit dir darüber zu sprechen. Was denkst du bloß von mir?«
    »Verzeih. Ich habe es nicht so gemeint. Aber manchmal glaube ich, die Trauer um Thiderich nie überwinden zu können. Ich weiß natürlich, dass ich wieder heiraten sollte – die Kinder brauchen einen Vater, und auch meine Familie drängt mich dazu. Aber noch kann ich es nicht. Noch nicht!«
    Es machte Godeke ernsthaft betroffen, Ava so zu sehen. Ihre Trauer war aufrichtig, sie hatte ihren Gemahl sehr geliebt. Und doch sah er keinen anderen Weg, als sie möglichst bald wieder zu verheiraten. Es galt, einen Verwalter für ihr beträchtliches Erbe zu finden und natürlich einen Vater für ihre Söhne – auch wenn Godeke letztere Aufgabe nur schweren Herzens würde abgeben können –, und das hatte auch einen Grund.
    Obwohl Godeke bereits seit über zwei Jahren mit Oda verheiratet war, trug sie noch immer kein Kind unter dem Herzen. Er machte ihr keine Vorwürfe deswegen, sah er doch, wie sehr sie selbst darunter litt. Doch die Kinder Thiderichs hatten ihm das Fehlen eigener Nachkommen noch einmal deutlich vor Augen geführt.
    Eigentlich hatte Godeke Thiderich nie näher gestanden als Walther oder Albert, weshalb viele sich zunächst über die ihm übertragene Muntwaltschaft gewundert hatten. Doch es gab auch dafür einen Grund: Godeke war in Hamburg, und Walther und Albert nicht! Die nächstmöglichen Männer, die für diese Aufgabe infrage gekommen wären, waren Avas Bruder Helprad und ihr Vater Fridericus von Staden. Doch Ava hatte seit der fälschlichen Anprangerung Runas und dem Ausschluss Alberts aus dem Rat kein gutes Verhältnis mehr zu ihnen, und so hatte sie Godeke regelrecht angefleht, dass er dieses Amt übernahm.
    Das zaghafte Öffnen der Küchentür holte beide aus ihren Gedanken. Es war Ehler, der frisch gewaschen und mit hängendem Kopf eintrat.
    Ava musterte ihren Sohn. Dann fiel ihr Blick auf seine Schläfe. »Komm her zu mir«, befahl sie ihm mit nun weicherer Stimme und strich ihm dann die Haare aus dem Gesicht. Darauf sog sie hörbar die Luft ein und verzog das Gesicht. Die eben noch von Staub und Blut verdeckte Verletzung stach nun deutlich hervor und bereitete ihr Sorge. Sofort fragte sie sich, welche seiner Gesichtshälften sie eben geschlagen hatte, um sich kurz darauf erleichtert daran zu erinnern, dass es die andere Seite gewesen war. Mit einem rührigen Blick in Godekes Gesicht sagte sie: »Die Wunde ist doch schlimmer, als ich eben noch angenommen habe. Ich glaube, das sollte sich Kethe mal besser ansehen.«

6
    »Meine Damen, ich bitte Euch. Geht alle rüber in den Handarbeitsraum, und lasst mich mit meiner Gemahlin allein«, sagte Johann II. mit freundlicher Stimme in Richtung der eben sich noch eifrig unterhaltenden Hofdamen.
    Alle erhoben sich sofort, auch die Ammen der Kinder. Eine jede ließ stehen und liegen, womit sie gerade beschäftigt war, und verließ nach einem Knicks die Kemenate.
    Runa und Margareta folgten den Damen, die sich, wie immer fröhlich plappernd, auf den Weg in die zweite Kammer der Gräfin machten, wo eines der noch überaus selten aufzufindenden Spinnräder und ein ebenso seltener Tuchwebstuhl standen. Kurz bevor sie durch die Türe traten, sprach Runa die Amme ihres Sohns an. »Gib ihn mir, ich nehme ihn mit hinaus.«
    »Hinaus? In die Kälte?«, brach es unüberlegt aus der Amme, die sich ihrer Widerworte sofort bewusst wurde. »Verzeiht, aber …«
    »Aber was?«, unterbrach Runa die Amme freundlich und nahm ihr

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