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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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mir nur.«
    Runa überreichte vorsichtig das schreiende Bündel und wies ihre Tochter an: »Freyja, geh mit Christin mit.« Zu ihrem Erstaunen gehorchte das Mädchen auf Anhieb. Nur Augenblicke nach Christin verließ auch Runa das Wirtschaftsgebäude. Sie überquerte den Hof und fand Margareta am Brunnen.
    »Geht es dir besser?«
    »Ja, ja, es war nichts«, sagte ihre Schwester, die wieder frischer aussah. »Die Luft hat mir gutgetan.«
    Runa ging nicht weiter darauf ein und behielt ihre Gedanken für sich.
    Wenig später schritten sie die überdachte Freitreppe zur Kemenate hinauf und gingen durch die Gänge bis zu den gräflichen Kammern. Schon von hier aus war das Rattern und Klappern der Gerätschaften zum Herstellen und Verarbeiten von Garn ebenso wie das allgegenwärtige Geplapper und Gekicher der blutjungen adeligen Frauen deutlich zu hören.
    Ein Blick in Margaretas Gesicht, die wissend mit den Augen rollte, verriet Runa, dass sie beide die schrillen Stimmen nicht vermisst hatten.
    Nach einem kurzen Klopfen an der Tür ertönte ein »Herein!«
    Die Schwestern traten ein und knicksten vor der Gräfin, die an ihrem Schreibpult saß und etwas schrieb. Hier, in der kleineren der zwei gräflichen Kammern, war es angenehm still. Selbst das Kratzen der Schreibfeder stoppte nun. Trotz der kühlen Luft draußen waren beide Fensterluken weit geöffnet.
    »Nehmt ruhig Platz.«
    »Habt Dank, Gräfin«, sagten beide Frauen nahezu gleichzeitig und setzten sich auf zwei brokatbespannte Lehnstühle.
    Dann war es wieder einen Moment still. Margarete von Dänemark nahm das Siegelwachs zur Hand und erwärmte es mit einer Kerze. Dann tropfte sie etwas davon auf das gefaltete Papier und drückte ihr Siegel hinein. Ein Diener, der die ganze Zeit über neben ihr gestanden hatte, nahm den Brief entgegen.
    »Bring ihn geschwind zum Hamburger Dompropst. Sag ihm, er kann uns in fünf Tagen erwarten.«
    »Sehr wohl, Herrin!«
    Als die Tür ins Schloss fiel, richtete die Gräfin ihr Wort an Runa. »Der Graf und ich haben beschlossen, schon morgen nach Hamburg zu ziehen. Der Rat hat wegen verschiedener Belange der Stadt um unsere Anwesenheit auch über die Hinrichtung hinaus gebeten. Wir werden eine Weile auf dem Kunzenhof wohnen – auf jeden Fall bis zum Kinderbischofsspiel –, und wir wünschen, dass ihr uns begleitet.«
    Runa schossen zig Gedanken durch den Kopf. Der erste galt ihrem Sohn Thymmo. Sie würde ihn wiedersehen! Das war ein Grund großer Freude. Und auch Godeke, Oda und Ava wollte sie endlich wieder in die Arme schließen. Doch ihre weiteren Gedanken waren gemischt. Zwar war ihr klar gewesen, dass sie der Hinrichtung in Hamburg beiwohnen würde, doch hatte sie gedacht, gleich danach wieder nach Kiel zu ziehen – fort von allen schlimmen Erinnerungen, die sie mit Hamburg verband.
    »Was ist mit Euch?«
    Runa wurde aus ihren Gedanken gerissen und bemerkte, dass ihr Verhalten ungebührlich war. »Oh, bitte verzeiht meine Zerstreutheit …«
    Die Gräfin lächelte milde. Sie war weise genug um zu ahnen, was Runa beschäftigte. »Fürchtet Euch nicht vor den ollen Kaufmannsweibern und den Ratsherren. Niemand wird es wagen, Euch auch nur schräg anzuschauen. Ihr steht nun unter unserem Schutz.«
    Ein warmes Gefühl überkam Runa und ihr Blick wurde weicher. »Das zu wissen, lässt all meine Bedenken verfliegen.«
    »Sehr gut! Und nun möchte ich mich wieder den Dingen widmen, die mir Freude machen.« Während sie das sagte, erhob sie sich.
    Schnell taten Runa und Margareta es ihr gleich.
    »Lasst uns in den Handarbeitsraum gehen. Ich möchte Euch eine Stickerei zeigen, bei der ich Rat gebrauchen könnte.«
    Die Frauen gingen hinüber zur zweiten Kammer der Gräfin, wo zwei Wachen vor der Flügeltür standen. Ohne ein Wort öffneten sie diese und ließen die Frauen ein.
    Dahinter zeigte sich eine Pracht, die von außen nicht zu erwarten gewesen wäre. In einem kunstvoll gestalteten Kamin loderte ein Feuer. Große Fenster ließen viel Licht hinein, und überall lagen dicke Kissen. In jeder Ecke saßen wunderschöne Frauen mit kostbaren Gewändern und verzierten Hauben, die sich bislang vor der Welt versteckt zu haben schienen. Eine jede von ihnen war in eine Handarbeit vertieft. Sie alle hätten Gräfinnen sein können, nur im direkten Vergleich erkannte man den wahren Unterschied: Margarete von Dänemark hatte etwas an sich, das keiner anderen Dame in der Kemenate anzuhaften schien. Es war nicht so, dass sie die Schönste war,

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