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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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eine Möglichkeit geblieben: ein Hospital, das Bedürftigen Unterschlupf gewährte. Zu seinem Glück fand er einen Platz, was in dem vollgestopften Köln nur mit Glück zu begründen war. Von hier aus hatte er sich bereits so oft auf die Suche begeben, dass er die Stadt mittlerweile recht gut kannte – war er doch jeden Tag mindestens einmal zum Dom gegangen und danach durch sämtliche Stadtviertel gestreift. Alle Straßen hatte er sich auf diese Weise angesehen, war von Norden nach Süden und von Osten nach Westen gewandert, jedoch immer ohne Erfolg.
    An diesem Tage wandte er sich auf den überfüllten Straßen nach Süden, bis er vor der Stadtmauer stand. Hier hielt er sich links und erreichte die mächtige Severinstorburg, wo sich unzählige Leute in beide Richtungen hindurchquetschten. Der Dieb allerdings war nicht dabei.
    Langsam ging Everard weiter, die Stadtmauer immer rechts von sich, bis er den Bayenturm am Ufer des Rheins erreichte, der mehr einer Burganlage glich, denn einem Stadttor. Von hier aus wanderte Everard nach Norden, entlang des Rheins, wo er zahlreiche Schiffe auf dem Wasser sah und Händler am Ufer. Plötzlich stand er auf dem Fischmarkt, der mittig der östlichen Stadtbefestigung am Rhein lag. Hier war das Gedränge fast unerträglich. Everard suchte sich einen Platz am Rande und tastete mit seinem Blick die Menge ab, als sein Herz einen Schlag lang auszusetzen schien.
    Nicht weit von ihm entfernt stand ein Mann, dessen Haarfarbe und Größe zu der des Gesuchten passte. Konnte das sein? Hatte er wirklich jenen Dieb unter den vielen Menschen am Hafen ausgemacht? Everard stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, was allerdings nicht viel brachte. Der Mann stand mit dem Rücken zu ihm. Was sollte er jetzt tun? Schreien und andere auf ihn aufmerksam machen oder ihm heimlich folgen? Er entschied sich, erst einmal unbemerkt näher an ihn heranzukommen und dann zu handeln, und so folgte er dem Unbekannten, der beim Stapelhaus in die Stadt einbog, mit zittrigen Knien. Immer wieder musste sich Everard recken, um den ausgemachten Hinterkopf nicht aus den Augen zu verlieren. Um an dem Mann dranzubleiben, schlängelte er sich durch die Menschen, die sperrige Lasten bei sich trugen und achtlos ihres Weges gingen, selbst wenn sie einander anrempelten. Er wich Ochsen- und Pferdewagen aus und versuchte dabei, nicht wadentief im Matsch zu versinken. Auf diese Weise passierte er das Rathaus, vor dem sich endlich ein weiter Platz erstreckte, der Everard die Möglichkeit gab, aufzuholen. Erst war er nur gegangen, jetzt lief er. Der Abstand zu dem vermeintlichen Langfinger verkleinerte sich mehr und mehr, und dann, als sie nur noch eine Armlänge trennte, packte Everard den Mann ohne groß zu überlegen am Kragen und riss ihn herum.
    »Bleib gefälligst stehen, du gottloser Dieb!«
    Es war ein peinlicher Moment, denn der Mann war nicht der Gesuchte, und er war dementsprechend verärgert über den Angriff.
    »Was fällt Euch ein, mich einen Dieb zu nennen? Wer seid Ihr überhaupt? Nehmt Eure Worte auf der Stelle zurück, oder …!«
    »… Verzeiht, Herr! Bitte, vergebt mir. Ich habe Euch verwechselt ….«
    »Das will ich auch meinen! Mich nennt niemand einen Dieb, habt Ihr verstanden?«
    »Jawohl. Es tut mir aufrichtig leid. Gott schütze Euch …«
    Noch mit seiner wortreichen Entschuldigung auf den Lippen, schritt Everard langsam rückwärts. Sein Gegenüber schüttelte nur noch den Kopf und verschwand. Zum Glück hatte er den Mann besänftigen können. Noch mehr Ärger konnte er wahrlich nicht gebrauchen. Doch nun war er genauso weit wie vorher – dieser Gedanke ließ ihn mutlos und niedergeschlagen nach Norden zum Dom weiterlaufen. Hier wollte er die Steinmetze befragen, denn vielleicht war der Dieb ja doch ein Lehrling gewesen. Viel Hoffnung machte er sich allerdings nicht. Ein Lehrling, der ein Dieb war, wäre doch etwas auffällig gewesen. Schon längst schwante ihm, dass sein Handeln sinnlos war, doch es hatte die pure Verzweiflung zum Anlass. Er traute sich ganz einfach nicht, die Stadt ohne Münzen zu verlassen.
    Ein letztes Mal ging er in den Arkadenhof vor dem Dom und lehnte sich an den Brunnen, wo er den Dieb das erste Mal gesehen hatte. Wie jeden Tag war der Hof voll mit Pilgern aus aller Welt. Everard schenkte ihnen nicht viel Beachtung – auch nicht dem Dom, der ihn anfangs noch so sehr fasziniert hatte. Sein ganzes Denken war beherrscht davon, den Dieb aufzuspüren, um

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