Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Oda gen Boden. Für sie war es keine Genugtuung, einen Menschen so leiden zu sehen. All der Schmerz der letzten Jahre schien ausreichend für ein ganzes Leben gewesen zu sein, und auch wenn Johannes vom Berge keine Gnade verdiente, wünschten sich die Frauen in diesem Moment weit fort.
Einzig und allein Ava, die Witwe Thiderichs, schaute mit hoch erhobenem Kopf und wachem Blick der Hinrichtung zu. Sie zuckte nicht zusammen, wenn das Richtrad seine lärmende Arbeit tat, doch sie jubelte auch nicht. Ihrem Gesicht waren keine Gefühle anzusehen.
Oda hob den Blick und begann, ihre Freundin heimlich zu beobachten. Sie hoffte inständig, dass diese nach der Hinrichtung ihren Frieden wiederfinden würde.
Als der letzte Stoß des Rades getan war und die Holzkeile unter den blutenden, verkrümmten Gliedern des ehemaligen Ratsherrn herausgezogen wurden, kam der letzte und nicht minder schreckliche Teil der Hinrichtung. Ein zweites, noch größeres Rad wurde herangeschafft und Johannes vom Berge vom Boden losgebunden. Die Fesseln waren nun überflüssig geworden, jetzt, da er keinen seiner Arme und keines seiner Beine mehr bewegen konnte. Achtlos und mit roher Gewalt zog man ihn auf die Speichen, wo Vromold sofort begann, die gebrochenen Knochen durch das Rad zu flechten und festzubinden.
Normalerweise wurden die zu Richtenden vor dieser Pein erwürgt, doch Johannes vom Berge hatte sich so vieler Taten schuldig gemacht, dass ihm diese Gnade vom Hamburger Rat abgesprochen worden war. Auch erlöste keine gnädige Ohnmacht den Verurteilten. Im Gegenteil – jeder, der gedacht hatte, Johannes vom Berge hätte keine Kraft zum Schreien mehr übrig, wurde in diesem Moment geräuschvoll eines Besseren belehrt. Bei vollem Bewusstsein wurde sein Körper abermals geschunden, bis er vollkommen verdreht und zur absoluten Bewegungslosigkeit verdammt, eins mit dem Rad geworden war. Schlussendlich stellte man das Rad durch einen Pfahl auf, der es gen Himmel richtete. Hier würde es stehenbleiben, bis der Verurteilte starb. Niemand wusste zu dieser Zeit, dass dies erst ganze zwei Tage später passieren würde.
8
Walther war angespannt. Das heutige Ereignis hing über ihm wie eine dunkle Wolke.
Runa hingegen hätte kaum glücklicher sein können. Nach so vielen Wochen würde sie endlich ihr Kind wieder in die Arme schließen. Auf diesen Tag hatte sie lange warten müssen.
Sie wusste, warum Walther diese Begegnung immer wieder hinausgezögert hatte; warum er jeden Tag eine neue Ausrede gefunden hatte, die sie angeblich daran hinderte, an genau diesem Tag zu Thymmo zu gehen. Doch heute, wo die so lang erwartete Hinrichtung vorbei war und sie bald wieder zurück zum Kunzenhof mussten, fiel auch Walther kein überzeugender Grund mehr ein.
So machten sie sich auf zu Johann Schinkels Domkurie. Sie überquerten die Zollenbrücke, gingen die Brotschrangen entlang, passierten das Eimbecksche Haus, welches vor etwas über einem Jahr noch das Rathaus der Stadt gewesen war, bogen rechts in die Beckmacherstraße ein, bis sie auf den freien, hoch gelegenen Platz kamen, der nur Berg genannt wurde.
Hier schloss Runa ihre Finger unvermittelt fester um Walthers Arm, als ihr Blick auf die Fronerei fiel, in der sie so Schlimmes erlebt hatte und in der sie fast gestorben wäre, als sie Thido ohne Hebamme zur Welt bringen musste.
Walther verstand sofort und auch ihm graute es beim bloßen Anblick des Steinhauses. Entschlossen wollte er seine Gemahlin von hier fortziehen, doch plötzlich löste sich Runas Griff, und sie blieb stehen.
Walther schaute seine Frau verwundert an, doch der Ausdruck auf ihrem Gesicht ließ keine Frage zu. Er war sich sicher, dass die Angst sie lähmte, und wollte sanft nach ihrem Arm greifen, als sie ganz plötzlich zu lächeln begann. Ihr Lächeln ging auf ihre Augen über, bis sie regelrecht strahlte; währenddessen ruhte ihr Blick nach wie vor auf der Fronerei. Erst nach einer ganzen Weile sah sie Walther an. Bevor er etwas sagen konnte, hakte sie sich wieder bei ihm unter und überquerte an seiner Seite den Berg. Gerne hätte Walther gewusst, was in ihrem Kopf vorging, doch er spürte, dass sie nicht darüber reden wollte.
Nur wenige Schritte weiter konnten sie Johanns Kurie, die östlich der Petri-Kirche lag, auch schon sehen.
Sie wurden bereits erwartet. Beide Diener des Ratsnotars, Werner und Anna, und sogar deren Töchter Beke und Tybbe, öffneten ihnen die Tür und baten sie in die Schreibstube. Hier reichte man ihnen
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