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Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Tan
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angekommen.
    »Mutter«, entwich es Runa bloß kummervoll, während sie Ragnhild um den Hals fiel. Sie wollte so vieles sagen, doch seit dem Morgen war ihr Hals wie zugeschnürt.
    Wortlos hielt Ragnhild der festen Umarmung eine Weile lang stand, dann löste sie sich sanft und strich ihrer Tochter über die Wange.
    Auch Oda, Ava und Margareta drückten Runa, und Runa drückte sie. Ihnen allen saß der Schreck heute so tief in den Gliedern, dass sie sich daraufhin nur gebannt an den Händen fassten und kaum weitere Worte verloren.
    Die Männer hingegen hielten sich weniger zurück.
    »Ich kann es kaum erwarten, dass sie beginnen«, gestand Walther mit einem bösen Gesichtsausdruck. »Ich wünsche diesem Hundsfott einen langsamen Tod.«
    »Walther, versündige dich nicht«, tadelte Ragnhild ihren Schwiegersohn halbherzig, auch wenn sie seinen Wunsch insgeheim teilte.
    »Pah, wie kann man sich versündigen, indem man dem Schlimmsten aller Sünder das wünscht, was er verdient?«, fügte Albert hinzu.
    Darauf sagte Ragnhild nichts mehr. Wie jeder der Anwesenden wusste auch sie, was es mit diesem Satz auf sich hatte. Walther und Albert sannen auf Rache – Rache für Thiderich Schifkneht, ihren besten Freund, dessen Verlust für sie beide heute noch genauso schmerzlich spürbar war, wie vor wenigen Wochen, als er durch die Ränke des Johannes vom Berge den Tod gefunden hatte.
    Sie alle hatten bisher gar nicht auf die Worte des Vogtes gehört, doch während er die Punkte der Anklage und die dazugehörigen Strafen verlas, wurde es plötzlich unruhig, und ihrer aller Aufmerksamkeit richtete sich über die vielen Köpfe vor sich hinweg auf einen Punkt nahe des hölzernen Aufbaus. Ein Wagen rollte an. Es war ohne Zweifel das Gefährt des Angeklagten.
    Nun waren die Hamburger kaum mehr zu halten. Alles schob und drängte nach vorn, und ein jeder stellte sich auf seine Zehenspitzen und reckte den Kopf, um besser sehen zu können.
    Der Platz vor dem Rathaus war bis auf das letzte Fleckchen gefüllt. Genau an der Richtstätte, wo man am besten sehen konnte, quetschten sich die ärmeren und einfacheren Leute Hamburgs Schulter an Schulter zusammen. So war es immer schon, und niemand machte ihnen diesen Platz streitig. Dahinter standen die wohlhabenderen Bürger der Stadt, die sich weniger gierig und zügellos verhielten. Die Ratsherren und die fünf Schauenburger hingegen wohnten dem Schauspiel mit erhabenen Blicken von den weit geöffneten Fenstern des Rathauses bei.
    Wie schon auf der morgendlichen Sitzung, war auch jetzt wieder jeder Fürst von seinen schwer bewaffneten Gefolgsleuten umringt – immer bereit, einen möglichen Angriff des verhassten Vetters neben sich abzuwehren. Unter anderen Umständen hätten die fünf Schauenburger es wohl vermieden, einen ganzen Tag lang so dicht beieinander zu stehen. Doch der Verurteilte Johannes vom Berge trug eine gehörige Mitschuld an den Zwistigkeiten, die die Grafen in der Vergangenheit entzweit hatten, weshalb es sich keiner von ihnen hatte entgehen lassen wollen, ihn sterben zu sehen.
    Am Fenster des Grafen Gerhards II. stand auch Eccard, der sich nicht unwohler hätte fühlen können. Schon während der Sitzung war er den vernichtenden Blicken von Marquardus Scarpenbergh ausgeliefert gewesen, den er kürzlich durch seine unangekündigte Abreise von dessen Burg schwer beleidigt hatte. Und nun würde er sich die gesamte Hinrichtung lang in der schlechten Gesellschaft der von ihm nicht minder verachteten Ritter Lüder von Bockwolde, Heinrich von Borstel, Ulrich von Hummersbüttel und Giselbert von Revele befinden, mit denen er den Platz hinter seinem mittlerweile verhassten Herrn Graf Gerhard II. teilte. Sein Blick glitt zum benachbarten Fenster zu Graf Johann II. Zum wiederholten Male, seitdem er gestern in Hamburg angekommen war, trennte ihn und den Grafen bloß eine Mannslänge, und dennoch war es unmöglich, mit ihm allein zu sprechen. Zu viele Männer, zu viele Ohren. Die Unterhaltung über einen möglichen Überlauf musste wann anders stattfinden. Doch wann? Die Gelegenheiten waren rar.
    Mit einem Mal war ein mehrstimmiges »Es geht los« von allen Seiten zu vernehmen, und schon im nächsten Moment nickte der Vogt dem Vermummten zu. Schlagartig schwiegen all die geschwätzigen Hamburger still. Sie wollten die Worte des Vogtes hören. »Vromold, tu, was deine Aufgabe ist. Und tu sie gut!«
    Daraufhin nickte der Scharfrichter und legte dabei eine Hand auf sein Herz und die andere

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