Das Vermächtnis des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
zu erzählen, dass er Euer und nicht mein Sohn ist, doch das würde Runas Leumund zerstören.«
»Ja, das weiß ich. Es ist wie es ist. Ich bin froh, dass er bei mir lebt und ich ihn jeden Tag um mich haben kann. Wenn ich dafür ein Leben lang lügen muss, soll es mir das wert sein.«
Walther schaute den Ratsherrn von der Seite an. »Ihr liebt dieses Kind.«
»Wahrlich, das tue ich!«, sprach er und hob ebenso den Blick.
Walther schaute Johann Schinkel bewundernd in die Augen. Solch ehrliche, fast schon entblößende Worte hatte er nicht erwartet. Sie zeigten umso mehr, wie sehr es stimmte, was er eben gestanden hatte.
Nachdem die Männer wieder eine Weile in den Garten geblickt hatten, machte Johann Schinkel übergangslos ein weiteres Geständnis. »Thymmo hasst die Schule, ganz besonders Latein. Und der Scholastikus kommt mit dem Ausgeben von Strafarbeiten kaum noch hinterher.« Dann erst schaute er wieder zu Walther, der urplötzlich und aus voller Kehle zu lachen begann.
Erst als er sich etwas beruhigt hatte, sagte er: »Ihr habt richtig daran getan, eine Mutter in dem Glauben zu lassen, alles sei in bester Ordnung. Wenn Ihr es nicht verratet, werde ich es auch nicht tun.«
»Abgemacht!«, schloss der Ratsnotar, der nun auch herzhaft zu lachen begann. »Wer weiß, vielleicht gelingt es mir ja noch, aus dieser Lüge eines Tages Wahrheit zu machen.«
»Das würde mich sehr beeindrucken«, gestand Walther kopfnickend. »Und ich bin mir sicher, dass Ihr es schafft! Doch selbst wenn nicht, vielleicht gibt es ja etwas anderes, in dem der Junge Talent beweist.«
»Wann werden du, Walther und die Kinder unser Haus verlassen, um auf den Kunzenhof zu ziehen, Runa?«, fragte Ava, während sie gemeinsam mit ihr, Oda und Margareta in der tiefstehenden Novembersonne in Richtung Markt schlenderte.
»Morgen schon, meine Liebe.«
»Schon so bald?«, fragte Oda mit einem bekümmerten Gesicht.
»Ja. Auch ich bin traurig darüber, dass wir nicht noch etwas mehr Zeit mit euch in einem Haus verbringen können, aber die Grafen waren schon überaus großzügig, indem sie Walther für die Zeit bis zur Hinrichtung von seinem Dienst befreiten.«
»Das ist wahr«, bestätigte Oda.
»Doch lasst uns nicht trauern, meine Lieben. Gott sei’s gedankt, dass wir noch etwas länger in Hamburg bleiben werden – mindestens bis zum Kinderbischofsspiel –, so können wir uns noch häufig sehen. Das ist doch ein Grund zur Freude.«
Margareta setzte einen schelmischen Blick auf und stemmte die Hände in die Seiten. »Da sieh mal einer an«, bemerkte sie in Runas Richtung. »Freust du dich etwa wirklich, in Hamburg zu sein? Vor einigen Tagen noch, in der Kemenate der Gräfin, hat dir der Gedanke Unbehagen bereitet.«
»Das stimmt! Und jetzt ist irgendwie alles anders. Hamburg hat für mich seinen Schrecken verloren«, gestand sie und dachte bei diesen Worten an den Moment vor der Fronerei.
»Wie meinst du das?«
»Nun, auch wenn das Ereignis der Hinrichtung selbst sehr schlimm war, kann Johannes vom Berge uns nun endlich nicht mehr schaden. Vater Everard ist auch fort. Heseke ist im Kloster, Luburgis ist tot. Was sollte mich noch ängstigen? Jetzt, wo nicht nur das Schlechte ausgemerzt zu sein scheint, sondern auch noch das Gute überwiegt. Schließlich ist Godeke mittlerweile ein geachteter Ratsmann, unsere lieben Eltern sind vereint und glücklich, Walther und ich stehen in der Gunst der Grafen und …«, fügte sie lachend hinzu, während sie Margareta leicht anstupste, »… meine kleine Schwester hat einen Ritter geheiratet.«
Margareta schüttelte etwas beschämt die Hand Runas ab, musste aber gegen ihren Willen schmunzeln.
Auch die übrigen Frauen begannen zu kichern wie kleine Mädchen, obwohl sie das bei weitem nicht mehr waren. Doch heute fühlte sich vor allem Runa federleicht und jung – trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre. Alles hatte sich zum Guten gewandt. Nach so vielen Wochen war die Familie endlich wieder vereint. Und selbst Thymmo, den sie oft so schmerzlich vermisste, schien glücklich bei Johann Schinkel zu sein. Ja, es gab kaum etwas, das ihr Glück belastete, doch eine Sache lag ihr noch auf dem Herzen. Sie hakte sich bei Ava unter und sagte sanft: »Nun braucht nur noch unsere liebe Ava eines Tages einen guten Gemahl.«
Schweigen trat ein.
Ava schaute zu Boden. Sie wusste, dass es eines Tages zu einer neuen Hochzeit kommen musste, und sie war Runa nicht gram, dass diese sie darauf ansprach. Spätestens
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